
Dieses wichtige Verwandtschaftsverhältnis der dreiFischgruppen
kann seit den betreffenden Untersuchungen von Carl Gegenbaur
nicht mehr zweifelhaft sein. Die lichtvolle Erörterung über „die
systematische Stellung der Selachier“, welche derselbe in die Einleitung
zu seinen klassischen Untersuchungen über „das Kopfskelett
der Selachier“ (1872) eingeflochten hat, muß als definitive Feststellung
jener bedeutungsvollen Verwandtschaft betrachtet werden. Nur bei
den Urfischen oder Selachiem sind die Schuppen (Hautanhänge)
und die Zähne (Kieferanhänge) noch von ganz gleicher Bildung und
Struktur, während sie- sich bei den anderen beiden Fischgruppen
(Schmelzfischen und Knochenfischen) bereits gesondert und verschiedenartig
ausgebildet haben. Ebenso ist das knorpelige Skelett
(sowohl Wirbelsäule und Schädel, als auch Gliedmaßen) bei den
Urfischen in jener einfachsten und ursprünglichsten Beschaffenheit
zu finden, aus welcher die vollkommenere Struktur des knöchernen
Skeletts bei den Schmelzfischen und Knochenfischen erst abgeleitet
werden kann. Auch der Kiemenapparat der letzteren ist stärker
differenziert als derjenige der ersteren, ebenso das Gehirn. In
einigen wichtigen Beziehungen, namentlich in der Bildung des
Herzens und des Darmkanals, stimmen die Schmelzfische noch mit
den Urfischen überein und unterscheiden sich von den Knochenfischen.
Die vergleichende Berücksichtigung aller anatomischen
Verhältnisse ergibt unzweifelhaft, daß die Schmelzfische eine verbindende
Zwischengruppe zwischen den Urfischen und den
Knochenfischen einerseits, zwischen ersteren und den Lurchfischen
anderseits herstellen.
Die ältesten versteinerten Ueberreste von Wirbeltieren, welche
wir kennen, sind im Obersilur gefunden worden (S. 511) und gehören
zwei verschiedenen Fischgruppen an, Selachiern und Ga-
noiden. Die primitivsten von allen bekannten Vertretern der
ältesten „Urfische“ sind wahrscheinlich die merkwürdigen Pleur -
a canthiden, die Gattungen Pleuracanthus, Xenacanthus, Orth-
acanthus u. a. (Fig. 302). Diese uralten Knorpelfische stimmen in
den meisten Merkmalen des Körperbaues mit den echten Haifischen
überein (Fig. 303, 304); in anderen Beziehungen aber erscheinen
sie noch einfacher gebaut, so daß manche Paläontologen (Doeder-
lein) sie' ganz von den übrigen trennen und als wirkliche Pro -
s e la chi e r betrachten; wahrscheinlich sind sie den ausgestorbenen
Stammformen aller Gnathostomen nächst verwandt. Trefflich erhaltene
Reste derselben finden sich namentlich im permischen
System. Vorzüglich konservierte Abdrücke von anderen Haifischen
kommen besonders in dem lithographischen Juraschiefer vor, so
z. B. vom Engelhai (Squatina, Fig. 305). Unter den ausgestorbenen
jüngeren Haifischen der Tertiärzeit gab es Riesen, welche die
größten lebenden Fische um mehr als das Doppelte an Größe
übertrafen; Carcharodon erreichte über 100 Fuß Länge. Die
einzige lebende Species dieser Gattung (C. Rondeleti) wird 10 m
lang und hat Zähne von 5—6 cm Höhe; unter den fossilen Arten
derselben aber finden sich Zähne von 15 cm Höhe (Fig. 306).
Fig. 306.
Fig. 305. Fossiler Engelhai (Squatina
a liferä ) aus dem oberen Jura von Eichstätt.
Nach Z ittel. - Vorn im breiten Kopfe ist der
knorpelige Urschädel deutlich sichtbar, dahinter
die Kiemenbogen. Die breite Brustflosse Und
die schmälere Bauchflosse zeigen zahlreiche
Flossenstrahlen; zwischen diesen und der Wirbelsäule
liegen zahlreiche Rippen.
Fig. 306. Zahn eines Riesenhaies
(Carcharodon megalodoh) aus dem Pliocän von
Malta. Halbe natürliche Größe. Nach Z ittel.
Aus den Urfischen oder Se-
Flg’ 3°5' lachiern, den ältesten Gnathostomen,
ging zunächst als zweite Hauptgrüppe derselben die Legion der
S chme l z f i s che (Ganoides) hervor. Von dieser interessanten
und formenreichen Abteilung leben heute nur noch sehr wenige
Gattungen, die uralten Stö r f i sche (Accißenser, Stör, Hausen,
Sterlett u. s. w.), deren Eier wir als Kaviar verzehren; ferner die
Flösselhechte (Polypterus, Fig. 309) in afrikanischen Flüssen und
die Knochenhechte (Lepidosteus) in den Flüssen Nordamerikas.