
Inhalt des achtzehnten Vortrages.
Vergleichung der ontogenetischen und phylogenetischen Zeiträume, Zeitdauer der
Keimesgeschichte beim Menschen und verschiedenen Tieren. Verschwindend geringe
Länge derselben gegenüber den unermeßlich langen Zeiträumen der Stammesgeschichte.
Verhältnis der schnellen ontogenetischen Verwandlung zu der langsamen phylogenetischen
Metamorphose. Die Zeitrechnung der organischen Erdgeschichte, gegründet
auf die relative Dicke der sedimentären Gebirgsschichten oder neptunischen Formationen.
Fünf Hauptabschnitte derselben: I. Das primordiale oder archozoische Zeitalter. II. Das
primäre oder^ paläozoische Zeitalter. III. Das sekundäre oder mesozoische Zeitalter.
IV . Das tertiäre oder känozoische Zeitalter. V . Das quartäre oder anthropozoische
Zeitalter. Relative Länge der fünf Zeitalter. Die Resultate der vergleichenden Sprachforschung
als Erläuterung der Phylogenie der Arten. Die Stämme und Zweige des
indogermanischen Stammes verhalten sich in ihrer Stammverwandtschaft analog den
Klassen und Verzweigungen des Wirbeltierstammes. Die Stammformen sind in beiden
Fällen ausgestorben und nicht mehr imter den lebenden zu finden. Die wichtigsten
Stufen unter den menschlichen Stammformen. Die Entstehung der Moneren durch
Urzeugung. Notwendigkeit der Urzeugung.
Literatur:
Immanuel Kant, 1755- Allgem eine Naturgeschichte und Theorie des H im m els; oder
Versuch von der Verfassung und dem mechanischen Ursprung des ganzen Weltgebäudes,
nach Newtonschen Grundsätzen dbgehandelt. (S . Ostwalds ~Klassiker der
exakten Wissenschaften No. 12.) "/Leipzig.
Charles Lyell, 1830. P rincip les o f Geology. (X . E d it. 1868). Deutsch von B . Cotta,
Alexander von Humboldt, 1846-^1858. Kosmos, E n tw u rf einer physischen W elt■
besehreibung. 4 Bde. S tu ttg a rt.
Carus Sterne (Ernst Krause), 1879. Werden und Vergehen. E in e Entwickelungsgeschichte
des Naturganzen in gemeinverständlicher Fassung (m it 500 Abbildungen).
4 . A u f. 1900. B erlin .
Wilhelm Kölsche, 1894. Entwickelungsgeschichte der N atur. 2 Bde. Neudamm.
K a r l Z ü tte l, 1872. A u s der Urzeit. B ild er aus der Schöpfungsgeschichte.
O. Radenhausen, 1874• O siris. Weltgesetze in der Erdgeschichte, 3 Bde.
Hermann Credner, 1872. Elemente der Geologie. 9 . A u fl. 1902. Leipzig.
Carl Naegeli, 1884. Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre.
(II. Urzeugung-: IX . Morphologie und Systefhatik als phylogenetische Wissenschaften).
München.
Melchior Neumayr, 1885. Erdgeschichte. 2 Bde. 2. A u fl. 1895. Leipzig.
Eduard Suess, 1888. Das A n tlitz der Erde. Leipzig.
Johannes Walther, 1894. E in leitu n g in die Geologie als historische Wissenschaft.
2^Bde. Jena.
Ludwig Zehnder, 1901. D ie Entstehu ng des Lebens aus mechanischen Grundlagen
entwickelt. 2 Bde. Tübingen.
Meine Herren!
Durch unsere vergleichenden Untersuchungen über die Anatomie
und Ontogenie des Amphioxus und der Ascidie haben wir
unschätzbare . Hülfsmittel für die Erkenntnis dér Anthropogenie
gewonnen. Denn erstens haben wir dadurch in anatomischer Beziehung
die weite Kluft ausgefüllt, welche in der bisherigen Systematik
des Tierreiches zwischen Wirbeltieren und wirbellosen Tieren
bestand; zweitens aber haben wir in der Keimesgéschichtë des
Amphioxus viele uralte Entwickelungszustände kennen gelernt,
welche in der Ontogenie des Menschen schon seit länger Zeit verschwunden
und nach dem Gesetze der abgekürzten Vererbung
verloren gegangen sind. Unter diesen Entwickelungszuständen sind
namentlich von der größten Bedeutung die kugelige Blastula (in
ihrer einfachsten primären Form) und die daraus hervorgehende
Archigastrula, jene ursprüngliche, reine Form der Gastrula, welche
der Amphioxus bis heute bewahrt haf, und welche bei niederen
wirbellosen Tieren der verschiedensten Klassen in derselben Gestalt
wiederkehrt. Nicht minder wichtig sind die späteren Keimformen
der Coélomula, der Chordula u. s^ w.
So hat denn die Keimesgeschichte des Amphioxus und der
Ascidie unsere Quellenkenntnis von der Stammesgeschichte des
Menschen so weit vervollständigt, daß trotz des gegenwärtig noch
sehr unvollkommmenen Zustandes unserer empirischen Kenntnisse
dennoch keine wesentliche Lücke von großer Bedeutungj in^der-
selben mehr offen ist. Wir können daher jetzt an unsere eigentliche
Aufgabe herantreten und mit Hülfe der uns zu Gebote
stehenden vergleichend-anatomischen und ontogenetischen Urkunden
die Phylogenie des Menschen in ihren Grundzügen rekonstruieren.
Hierbei werden Sie sich' von der unermeßlichen Bedeutung überzeugen,
welche die unmittelbare Anwendung des Biogenet i s chen
Grün d g e s e t z e s hat. .Ehe wir nun aber diese Aufgabe in Angriff
nehmen, wird es von Nutzen sein, zuvor noch einige allgemeine
H a e ck e l, Anthropogenie. 5. Aufl. ^2