
Organismen kennen gelernt haben, deren Entstehung durch Urzeugung
beim heutigen Zustande unserer Wissenschaft keine
prinzipiellen Schwierigkeiten mehr darbietet. Denn die Moneren
stehen in der Tat vol lkommen auf der G renze zwischen
organi s chen und anorganis chen Natur körpern *).
An die einfache Cytodenform der Moneren schließt sich als
zweite Ahnenstufe im Stammbaum des Menschen (und ebenso aller
übrigen Tiere) zunächst die e infache Zel le an, und zwar jene
indifferenteste Zellenform, welche als Amo e b e noch heutzutage
ihr selbständiges Einzelleben führt. Denn der erste -und älteste
organische Differenzierungs-Prozeß, welcher den homogenen und
strukturlosen Plassonleib der Moneren betraf, führte die Sonderung
desselben in zwei verschiedene Substanzen herbei: in Karyoplasma
und Cytoplasma. Das Ka r y o p la sma oder die primäre „Kernsubstanz“
ist der innere festere Bestandteil und bildet den Ze l l e n kern
oder Nucleus. Das Cytopla sma hingegen, oder die
primäre „Zellsubstanz“, ist der äußere weichere Bestandteil und
bildet den Ze l lenle ib oder Cytosoma. Durch diesen außerordentlich
wichtigen Scheidungsprozeß, durch die Differenzierung
des Plasson in Nucleus und Cytosoma, entstand aus der strukturlosen
Cytode die organisierte Zel l e , aus der ke rnlos en
Plastide die k e rnh a l t ig e Plastide. Daß die ersten Zellen,
welche auf unserem Erdbälle ersehenen, in dieser Weise durch
Differenzierung aus den Moneren entständen, ist eine Vorstellung,,
welche für uns bei dem heutigen Zustand unserer histologischen
Kenntnisse vollkommen zulässig erscheint. Denn wir können diesen
ältesten histologischen Differenzierungs - Prozeß noch heutzutage
in der Ontogenese mancher niederen Protisten (z. B. Gregarinen):
unmittelbar beobachten.
Die e inz e l l ig e Ke imfo rm, welche die ursprüngliche
Eizelle und später die daraus durch Befruchtung entstandene:
Stammzelle uns vor Augen führt, haben wir schon früher als die
Wiederholung einer entsprechenden e inz e l l igen Stammform
gedeutet und dieser letzteren die Organisation, einer Amo ebe
zugeschrieben (vergl. den VI. Vortrag). Denn die formlose Amoebe,
wie sie noch heute weit verbreitet in den süßen und, salzigen
Gewässern unseres Erdballes selbständig lebt, ist als" das indifferenteste
und ursprünglichste unter den mäncherlei einzelligen
*) Vergl. H einrich Schm idt, 1903. Die Urzeugung .und Professor Reinke. Oden-
kirchen. (Darwinistische Vorträge, Heft 8.)
Urtieren zu betrachten (Fig. 280). Da nun die unreifen ursprünglichen
Eizellen (wie sie sich als „Ureier“ oder Protova im Eierstock
der Tiere finden) von gewöhnlichen Amoeben gar nicht zu unterscheiden
sind, so durften wir gerade die Amo ebe als diejenige
einzellige phylogenetische Urform bezeichnen, welche durch den
ontogenetischen Urzustand der „amoeboiden Eizelle“ noch heute
nach dem Biogenetischen Grundgesetze; wiederholt wird. Als
Beweis der auffallenden Uebereinstimmung beider Zellen wurde
damals gelegentlich angeführt, daß bei manchen Schwämmen oder
Spongien früher die wirklichen Eier dieser Tiere als parasitische
Amoeben beschrieben worden sind (Fig. 281). Man fand im Inneren
Fig. 280. Fig. 281.
Fig. 280. Eine kriechende Amoebe (stark vergrößert). Der ganze Organismus
hat den Formwert einer einfachen nackten Zelle und bewegt sich mittelst der veränderlichen
Fortsätze umher, welche von ihrem Protoplasmakörper ausgestreckt und
wieder eingezogen werden. Im Innern liegt der helle rundliche Zellkern.
Fig. 281. Eizelle eines Kalkschwammes (Calcolynthus\ Die Eizelle bewegt
sich kriechend im Körper des Schwammes umher, indem sie formwechselnde Fortsätze
ausstreckt, wie eine gewöhnliche Amoebe.
des Schwammkörpers große einzellige Organismen nach Art der
Amoeben umherkriechend und hielt sie für Schmarotzer desselben.;
Erst nachher entdeckte man, daß diese „parasitischen Amoeben“
die wahren Eier der Schwämme sind, und daß sich aus ihnen die
jungen Schwamm-Individuen entwickeln. In der Tat sind aber diese.
Eizellen der Spongien manchen gewöhnlichen Amoeben in Größe
und Habitus, Beschaffenheit des Kernes und charakteristischer Bewegungsform
der beständig wechselnden Scheinfüße so ähnlich, daß
man beide ohne Kenntnis ihrer Herkunft nicht unterscheiden kann.
Unsere phylogenetische Deutung der Eizelle und ihre Zurückführung
auf die uralte Ahnenform der Amoebe führt uns nun zugleich
zur definitiven Lösung dés alten scherzhaften Rätselwortes: