
Bildung allein das Beuteltier als solches mit Wahrscheinlichkeit
zu erkennen. Nun sind die meisten Säugetier-Versteinerungen,
welche wir aus der Jura- und Kreideformation kennen, bloß Unterkiefer.
Von zahlreichen mesozoischen Säugetieren, von deren einziger
Existenz wir sonst gar nichts wissen würden, gibt uns allein
ihr fossiler Unterkiefer Kunde, wahrend von ihrem ganzen übrigen
Körper kein einziges Stück konserviert ist. Nach der gewöhnlichen
Logik, welche die „exakten“ Gegner der Descendenztheorie
in der Paläontologie anwenden, müßte man hieraus schließen, daß
jene Säugetiere weiter gar keinen Knochen als den Unterkiefer
besaßen. Indessen erklärt sich dieser auffallende Umstand im
Grunde ganz einfach. Da nämlich der Unterkiefer der Säugetiere
ein massiver Knocher von besonderer Festigkeit, aber nur sehr
locker mit dem Schädel verbunden ist, so löst er sich bei dem
auf dem Flusse- treibenden Leichnam leicht ab, fällt auf den Boden
des Flusses und wird in dessen Schlamm konserviert. Das übrige
Kadaver treibt weiter und wird allmählich zerstört. Nun besitzen
die meisten Unterkiefer von Säugetieren, welche wir in den Juraschiefern
von Stonesfield und Purbeck in England finden, jenen
eigentümlichen Hakenfortsatz, durch welchen sich der Unterkiefer
der Beuteltiere auszeichnet. Auf Grund dieser paläontologischen
Tatsache dürfen wir vermuten, daß sie Mafsupialien angehört
haben. Placentaltiere scheinen um die Mitte des mesolithischen
Zeitraums noch gar nicht, sondern erst gegen Ende desselben (in
der Kreidezeit) existiert zu haben. Wenigstens kennen wir mit
Sicherheit noch keine fossilen Reste von unzweifelhaften Zottentieren
aus jenem Zeiträume.
Die heute noch lebenden Beuteltiere, von denen die pflanzenfressenden
Känguruhs und die fleischfressenden Beutelratten
(Fig. 326) "die bekanntesten sind, zeigen in ihrer Organisation,
Körperform und Größe sehr beträchtliche Verschiedenheiten und
entsprechen in vielen Beziehungen den einzelnen Ordnungen der
Placentaltiere. Die große Mbhrzahl derselben lebt in Australien,
auf Neuholland und auf einem kleinen Teile der australischen und
ostmalayischen Inselwelt; einige wenige Arten finden sich auch in
Amerika. Hingegen lebt gegenwärtig kein einziges Beuteltier
mehr auf dem Festlande von Asien, in Afrika und in Europa.
Ganz anders war dies Verhältnis während der mesozoischen und
auch noch während der älteren cänozoischen Zeit. Denn die
neptunischen Ablagerungen dieser Perioden enthalten zahlreiche,
verschiedenartige und zum Teil kolossale Reste von Beuteltieren
XXII. Beuteltiere oder Marsupialien (Didelphien). 647
in den verschiedensten Teilen der Erde, auch in Europa. Daraus
dürfen wir schließen, daß die heute lebenden Marsupialien nur
den letzten Rest von einer früher viel entwickelteren Gruppe darstellen,
die über die ganze Erdoberfläche verbreitet war. Während
Fig. 326. Die krebsfressende Beutelratte (.Philander cancri-vorus). Das
■ Weibchen trägt zwei Junge im Beutel. Nach Brehm.
der Tertiärzeit unterlag dieselbe im Kampfe ums Dasein den
mächtigeren Placentaltieren. Die überlebenden Reste der Beuteltiere
konnten sich in Australien und Südamerika deshalb erhalten,
weil ersteres während der ganzen Tertiärzeit,, letzteres
während des größten Teiles derselben von den übrigen Erdteilen
vollständig isoliert war.