
wichtigsten Fortschritte dabei waren die Ausbildung mesodermaler
Gonaden und Nephridien,. sowie - des ektodermalen Scheitelhirns.
Nach dieser Hypothese, die ich schon 1872 in der ersten Skizze -
der Gastraeatheorie (Kalkschwämme, I, S. 465) aufgestellt habe,
besteht keine direkte Verwandtschaft zwischen den Plattentieren
und Nesseltieren; diese letzteren, die Cnidar ien (Hydrozoen und
Scyphozoen), sind unabhängig von ersteren aus e inachs ig en
Gas t raeaden hervorgegangen; erst sekundär haben sich diese
monaxonen j Gastraeaden festgesetzt und infolgedessen die radiale
Grundform erworben. Nach meiner Ueberzeugung befinden sich.,
unter sämtlichen Ahnen der Wirbeltiere keine festsitzenden und
keine radialen Formen.
An die bedeutungsvolle uralte Stammgruppe der Turbe l -
lar ien schließen sich nun zunächst eine Anzahl von jüng e r en
Chordonie r -Ahnen an, die wir im Tiersystem zum Stamme
der Vermalia oder Helwinthes, der „ung eg l iede r t en Wu rmt
iere“ stellen müssen. Diese „eigentlichen Würmer (oder Vevw.es,
neuerdings auch Scolecida genannt) sind bekanntlich das Leidenskreuz
oder die „Rumpelkammer“ der systematischen Zoologie, weil
die 'dazu gehörigen Klassen sehr verwickelte Verwandtschaftsbeziehungen
zeigen, einerseits zu den tiefer stehenden-Platoden,
anderseits zu den höher stehenden typischen Tierstämmen. Wenn
wir jedoch einerseits die Plattentiere (Platodes), anderseits die
Ringeltiere (Annelides) aus diesem Stamme ausschließen, so- ergibt
sich eine ziemlich befriedigende Einheit der Organisation für alle-
darin - vereinigten Tierklassen. Ich habe den so beschränkten
• Stamm der Ve rma l i en in meiner „Natürlichen Schöpfungsgeschichte“
in vier Hauptklassen und fünfzehn Klassen eingeteilt.
Von diesen sind zwei Hauptklassen oder Kladome für uns hier
ohne Bedeutung, weil sie nach meiner Auffassung keine Chor-
donierahnen enthalten; das sind erstens die Rundwürme r oder
Strongylarien (Nematoden, Acanthocephalen, Chaetognathen), und
zweitens die Armwü rme r oder Prosopygiev (Bryozoen, Brachio-
poden, Phoroneen, Sipunculeen). Dagegen sind für unsere Aufgabe
von Interesse die beiden anderen Kladome, die Ra dwü rme r
{Rotatovia) und die Rü s s e lwü rme r (Frontonia oder Rhyncho-
coela); zu ersteren gehören die Ichthydinen und Rotiferen, zu
letzteren die Nemertinen und Enteropneusten. Unter diesen Wurmtieren
befinden sich einzelne bedeutungsvolle Formen, welche m
der Ausbildung ihrer Organisation wichtige Fortschritte von der
Platodenstufe zur Chordonierstufe erkennen lassen.
Unter diesen phylogenetischen Fortschritten sind drei neue
Erscheinungen von ganz besonderer Bedeutung: 1. die Bildung
einer echten (sekundären) Le ibe shöhle (Coeloma); 2. die Entstehung
einer zweiteh Darmöffnung, des Af t e r s (Anus); 3. die
Ausbildung eines Blu t g e f ä ß s y s t ems (Vasorium). Die große
Mehrzahl der Vermalien besitzt schon diese drei Merkmale, die
alle den Platoden noch fehlen; bei den übrigen Wurmtieren sind
doch wenigstens ein oder zwei derselben zur Ausbildung gelangt.
Sehr nahe an die Platoden schließen sich zunächst die
I chthydinen an (Gastrotricha); kleine, im Süßwasser und im
Meere lebende Würmchen, welche nur o;t—-0,5 mm Länge erreichen.
Ich vereinige diese primitiven Vermalien mit den eigentlichen
Rä d e r t i e r ch e n (Rotifera) in der Hauptklasse der Rota-
torien. Man kann die Gastrotrichen als direkte Uebergangsformen
von den Turbellarien zu den Rotiferen ansehen, wie sie tatsächlich
zwischen beiden in der Mitte stehen. Die Zoologen haben
ihre Stellung im System sehr verschieden beurteilt. Nach meiner
Auffassung stehen dieselben ganz nahe den Rhab d o co e l en
(Fig. 294, 295) und unterscheiden sich von ihnen wesentlich nur
durch ein Merkmal, durch den Besitz eines Afters am hinteren
Ende (Fig. 296 a). Auch sind die Flimmerhaare, welche bei den
Turbellarien die ganze Oberfläche bedecken, bei den Gastrotrichen
auf zwei flimmernde 'Wimperbänder (/') an der Bauchfläche des
länglich-runden Körpers beschränkt, während die Rückenfläche
Borsten trägt. Im übrigen ist die Organisation beider Klassen
fast dieselbe. Hier wie dort besteht der Darm aus einem muskulösen
Schlund (s) und einem drüsigen Urdarm (d). Ueber dem
Schlunde hegt das paarige Gehirn (Acroganglion, g). Seitlich vom
Urdarm hegen ein paar geschlängelte Vornierenkanäle (Wassergefäße
oder Pronephridien, nc), die an der Bauchseite münden (nm).
Hinten finden sich ein paar einfache Geschlechtsdrüsen oder
Gonaden (Fig. 297 e). Die enge Leibeshöhle, welche den Darm umschließt,
wird gewöhnlich für eine primäre Leibeshöhle gehalten
(Blastocoel); es ist aber möghch, daß dieselbe erst durch Ausdehnung
der paarigen Geschlechtstaschen entsteht, welche vom
After (oder Urmunde) aus nach vorn wachsen; dann würde sie
bereits als sekundäre Leibeshöhle (Enterocoel) zu deuten sein.
Während sich so die Ichthydinen noch eng an die Stammgruppe
der Platoden anschließen, führt uns dagegen ein weiterer
Weg zu jenen beiden Vermalien-Klassen, die wir im Kladome der
Rüs s e lwü rme r (Frontonia) vereinigen; das sind erstens die
H a e ck e l, Anthropogenie. 5. Aufl. 37