
inner es Ske l e t t , ein aus Knorpel oder Knochen gebildetes
inneres Gerüst, an welchem sich die Muskeln des Fleisches
äu ß e r l i ch befestigen und eine feste Stütze finden. Dieses
Knochengerüste stellt einen zusammengesetzten Hebelapparat,
einen pas s iven Bewe g u n g s a p p a r a t dar. Die starren Teile
desselben, die Hebelarme oder Knochen, werden durch die aktiv
beweglichen Muskelstränge, wie durch Zugseile gegeneinander
bewegt. Dieses ausgezeichnete Locomotorium und namentlich
dessen feste zentrale Achse, die Wi rbelsäule, ist eine besondere
Eigentümlichkeit der Vertebraten, und gerade deshalb hat man ja
die ganze Abteilung schon seit langer Zeit Wi rbe l t i e r e genannt.
Nun hat sich aber das innere Skelett bei den verschiedenein
Klassen der Wirbeltiere trotz der Gleichartigkeit der ersten Anlage
so mannigfaltig und eigentümlich entwickelt, und bei den höheren
Abteilungen derselben zu einem so zusammengesetzten Apparate
gestaltet, daß-gerade hier die vergleichende Anatomie eine Hauptfundgrube
besitzt. Das erkannte bereits die ältere Naturphilosophie
im Anfänge des 19. Jahrhunderts und bemächtigte sich gleich
anfangs mit besonderer Vorliebe dieses höchst dankbaren Materials.
Auch die Wissenschaft, die wir gegenwärtig in höherem, philosophischem
Sinne „Ve rg le i chende Ana tomie “ nennen, hat auf
diesem Gebiet ihre reichste Ernte gehalten. Die vergleichende Anatomie
der Gegenwart hat das Skelett der Wirbeltiere gründlicher
erkannt und seine Bildungsgesetze mit mehr Erfolg entschleiert,
als dies bei irgend einem anderen Organsysteme des Tierkörpers
der Fall gewesen ist. Hier mehr als irgendwo gilt der bekannte
und viel zitierte Spruch, in welchem Goethe das allgemeinste
Resultat seiner Untersuchungen über Morphologie zusammenfaßte:
„Alle Gestalten sind ähnlich, doch keine gleichet der andern;
„Und so deutet der Chor auf ein geheimes Gesetz.“
Und heute, wo wir dieses „geheime Gesetz“ erkannt, dieses
,heilige Rätsel“ durch die Descendenztheorie gelöst haben, wo
wir die Aehnlichkeit der Gestalten durch die Ve r e rb u n g , ihre
Ungleichheit durch die An p a s su n g erklären, heute können wir
in dem ganzen reichen Arsenal der vergleichenden Anatomie keine
Waffen finden, welche die Wahrheit der Abstammungslehre kräftiger
verteidigten, als die Vergleichung des inneren Skeletts bei den
verschiedenen Wirbeltieren. Wir dürfen daher schon von vornherein
erwarten, daß dieselbe auch für unsere Anthropogenie eine
ganz besondere Bedeutung besitzt. Das innere S k e l e t t der
Wi rbe l t i e r e i s t eines von jenen Or ganen, über dessen
Phyf jSgenie wir durch- die. v e r g l e i ch end e Ana tomie
v ie l wi cht ig e r e , re i che re und t iefe re Au f s ch lü s s e
.erhalten, als durch die Ontogenie.
Bei keinem anderen Organsysteme drängt sich dem vergleichenden
Beobachter so klar und so unmittelbar, wie bei dem
inneren Skelett der Wirbeltiere, die No twe n d i g k e i t des phylogenetischen
Zusammenhanges der verwandten und doch so verschiedenen
Gestalten auf. Wenn wir das Knochengerüste des
Menschen mit demjenigen der übrigen Säugetiere und dieses
wiederum mit dem der niederen Wirbeltiere denkend vergleichen,
so müssen wir daraus allein schon die Ueberzeugung von der
wahren Stammesverwandtschaft aller Wirbeltiere schöpfen. Denn
alle die einzelnen Teile, welche dieses Knochengerüst zusammensetzen,
finden .sich zwar in mannigfach verschiedener Form, aber
in derselben charakteristischen Lagerung und Verbindung auch
bei den anderen Säugetieren vor. Wenn wir dann ferner von
diesen abwärts die anatomischen Verhältnisse des Skeletts vergleichend
verfolgen, so können wir überall einen ununterbrochenen
und unmittelbaren Zusammenhang zwischen den verschiedenartigen
und anscheinend so abweichenden Bildungen nachweisen, und
alle können wir schließlich von einer einfachsten gemeinsamen
Grundform ableiten. Hieraus allein schon muß sich für jeden
Anhänger der Entwickelungslehre mit voller Sicherheit ergeben,
daß alle Wirbeltiere mit Inbegriff des Menschen von einer einzigen
gemeinsamen Stammform, von einem Urwirbeltiere, abzuleiten
sind. Denn die morpho lo gi s chen Verhältnisse des inneren
Skeletts und ebenso auch des dazu in engster Wechselbeziehung
stehenden Muskelsystems sind derart, daß man gerade hier unmöglich
an einen polyphyl e tischen'Ursprung, an eine Abstammung
von mehreren verschiedenen Wurzelformen denken
kann. Unmöglich kann man bei reiflichem Nachdenken die Annahme
gelten lassen, daß die Wirbelsäule mit ihren verschiedenen
Anhängen, oder daß das Skelett der Gliedmaßen mit seinen vielfach
differenzierten Teilen mehrmals im Laufe der Erdgeschichte
entstanden sei, und daß die verschiedenen VTirbeltiere demnach
von verschiedenen Descendenzlinien wirbelloser Tiere abzuleiten
seien. Vielmehr drängt gerade hier die vergleichende Anatomie
und Ontogenie mit unwiderstehlicher Gewalt zu der mono-
phyle t i s chen Ueberzeugung, daß das Menschengeschlecht ein
jüngstes Aestchen desselben gewaltigen Stammes ist, aus dessen
Zweigwerk auch alle übrigen Wirbeltiere entsprungen sind.