
Inhalt des achtundzwanzigsten Vortrages.
Zusammensetzung und Bedeutung des Gefäßsystems. Rotes und weißes Blut.
Rhodocyten und Leukocyten. Ursprung aus dem Entoderm und Mesoderm. Gefäßblatt.
Lacunoma. Erste Entstehung der Gefäße. Fressende Dotterzellen: Merocyten. Ihre
Pseudopodien. Ihr Ursprung. Parablastentheorie und Mesenchymtheorie. Histologische
Ä hnlichk e it und genetische Selbständigkeit der beiden Mesenchymgruppen : Lymphoide
und Konnektive. Sekundäre und polyphyletische Entstehung beider Gruppen von Mesenchymalorganen.
Aeußere Mesenchymhülle der Tunicaten. Mangel der Blutgefäße bei
den niederen Tieren. Stufenweise Ausbildung des Gefäßsystems. Blutgefäße der
Nemertinen und Anneliden. Kiemengefäße des Balanoglossus. Herz der Tunicaten.
Rückbildung des Herzens beim Amphioxus. Fortbildung des Gefäßsystems bei den
Cyclostomen und Fischen. -Teilung des großen und kleinen Kreislaufs bei den höheren
Wirbeltieren. Entstehung und Verwandlung des Herzens in der auf steigenden Reihe
der Wirbeltiere. Herzgekröse (Mesocardium). Kopfcoelom oder Halshöhle (Cardiocoel).
Abschnürung des Herzbeutels von den Pleurahöhlen. Zwerchfell (Diaphragma). Wanderung
von Herz und Herzbeutel aus dem Ko pf in den Rumpf. Paarige Herzanlage der
Amnioten cenogenetisch.
Literatur :
Johannes Müller, 183g. Das Gefäßsystem der Fische. Vergleichung der B lu t-
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Johannes Rückort, 1885— 1888. Z u r Keim blattbildung und B lu tb ild u n g bei Selachiern.
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Heinrich Ernst Ziegler, 1888— i8g2. D ie Entstehung des B lu tes der W irbeltiere.
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F. Hochstetter, 1888. B eiträge zu r vergleichenden Anatomie und Entwickelungsgeschichte
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Carl Rabl, 1887. Ueber die B ild u n g des Herzens der Amphibien. (Morph.Jahrb., Bd. X II.)
Arnold Laug, igo2. Beiträge zu einer Tyophocoel-Theorie. Jena. — F ünfund neu nzig
Thesen Ober den phylogenetischen Ursprung und die morphologische Bedeutung
der Z en tralteile des Blutgefäßsystem s der Tiere. Zürich.
Ferdinand Hochstetter, igo2. D ie Entw ickelung des Blutgefäßsystem s der W irbeltiere.
(In : Oscar H ertwig, Handbuch der Entwicketungslehre der W irbeltiere, B d. III.)
Meine Herren!
D ie Anwendung, welche wir bisher in der Organogenie von
unserem Biogenetischen Grundgesetze gemacht haben, wird Ihnen
eine Vorstellung davon gegeben haben, bis zu welchem Maße wir
uns seiner Führung bei Erforschung der Stammesgeschichte überlassen
können. Dieses Maß ist bei den verschiedenen Organsystemen
sehr verschieden; und das liegt daran, daß die E r b l
i chk e i t einerseits, die Ve r än d e r l i c h k e i t anderseits bei den
verschiedenen Organen sich sehr verschieden verhält. Während
einige Körperteile die ursprüngliche palingenetische, von den uralten
Tierahnen ererbte Entwickelungsweise getreu durch Vererbung
konservieren und an der ererbten Keimesgeschichte zähe
festhalten, zeigen andere Körperteile umgekehrt eine sehr geringe
Neigung zu strenger Vererbung; sie sind vielmehr fähig, durch
Anpassung neue und abweichende, cenogenetische Entwickelungsbahnen
anzunehmen und die ursprüngliche Ontogenese abzuändem.
Jene ersteren Organe stellen in dem vielzelligen Staatskörper des
menschlichen Organismus das beharrliche oder k ons e r v a t iv e ,
diese letzteren hingegen das veränderliche oder pro g r e s s iv e
Entwickelungselement dar. Aus der Wechselwirkung, beider
Richtungen ergibt sich der Gang der historischen Entwickelung.
Nur bei den kons e r v a t iv en Organen, bei denep im
Laufe der Stammesentwickelung die Vererbung das Uebergewicht
über die Anpassung beibehält, können wir die Ontogenie unmittelbar
auf die Phylogenie anwenden und aus der palingenetischen
Umbildung der Keimformen auf die uralte Verwandlung der
Stammformen zurückschließen. Bei den progressiven Organen
hingegen, bei denen die Anpassung das Uebergewicht über die
Vererbung erhalten hat, ist meistens der ursprüngliche Entwickelungsgang
im Laufe der Zeit so abgeändert, gefälscht und abgekürzt
worden, daß wir durch die cenogenetischen Erscheinungen