
Stammbaumes auffuhren, sind ganz einfache Gesellschaften von
lauter gleichartigen indifferenten Zellen gewesen: indifferente
Coenobien oder Zellvereine, Kolonien von geselligen Amoeben
oder Infusorien. Um über die Natur und Entstehung dieser
Protozoenkolonien eine Anschauung zu gewinnen, brauchen wir
bloß die ersten ontögenetischen Produkte der Stammzelle Schritt
für Schritt zu verfolgen. Bei allen Metazoen wird der Beginn
der Keimung durch wiederholte Teilung der Stammzelle oder
„ersten Furchungszelle“ eingeleitet (Fig. 282). Als wir diesen
wichtigen Vorgang Mer sogenannten „Ei fur chung “ früher ausführlich
untersuchten, haben wir uns überzeugt, daß alle verschiedenen
Arten derselben sich von einer einzigen Art ableiten
lassen, von der ursprünglichen äqualen oder primordialen Furchung.
(Vergl. den VIII. Vortrag, S. 165.) Im Stammbaum der Wirbeltiere
hat diese pa l ing ene t i s che Form der Eifurchung einzig
und allein der Amphioxus bis auf den heutigen Tag bewahrt,
während alle übrigen Wirbeltiere abgeänderte, c eno g ene t i s che
Formen der Furchung angenommen haben (vergl. die III. Tabelle,
S- 187). Jedenfalls sind die letzteren erst später aus der ersteren
entstanden, und daher hat die Eifurchung des Amphioxus für uns
das höchste Interesse (vergl. oben Fig. 257, S. 473). Das Ergebnis
der wiederholten Zellteilung ist ursprünglich die Bildung eines
kugeligen Zellenhaufens, der aus lauter gleichartigen, indifferenten
Zellen von einfachster Beschaffenheit'zusammengesetzt ist (Fig. 283).
Wegen der Aehnlichkeit, welche diese kugelig zusammengeballte
Zellenmasse mit einer Maulbeere oder Brombeere darbietet, nannten
wir dieselbe „Maulbe e rke im“ oder Morula.
Offenbar führt uns diese Morula noch heute denselben einfachsten
Urzustand des v i e l z e l l ig en Tierkörpers vor Augen,
der sich in sehr früher laurentischer Urzeit zuerst aus der e inz
e l l ig e n amoeboiden Urtierform hervorbildete. Die Morula
wiederholt nach dem Biogenetischen Grundgesetze die Ahnenform
der M o r a e a oder des einfachen Protozoen - Coenobium. Denn
die ersten Zellengemeinden, welche sich damals bildeten, und
welche die erste Grundlage zum höheren vielzelligen Tierkörper
legten, werden aus lauter gleichartigen und ganz einfachen
amoeboiden Zellen bestanden haben. Die ältesten Amoeben lebten
als Einsiedler isoliert für sich, und auch die amoeboiden Zellen,
welche durch Teilung aus diesen einzelligen Organismen entstanden,
werden noch lange Zeit hindurch-isoliert auf eigene
Hand gelebt haben und Einsiedler geblieben sein. Allmählich
aber entstanden neben diesen eremiten Urtieren kleine Amoeben-
Gemeinden, indem die durch Teilung entstandenen Geschwisterzellen
vereinigt blieben. Die Vorteile, welche diese ersten Zellengesellschaften
im Kampfe ums Dasein vor den einsam lebenden
Einsiedlerzellen voraus hatten, werden ihre Entstehung begünstigt
und sie zu weiterer Fortbildung angeregt haben. Solche selbständige
Zellenkolonien oder Ze l lenve re ine , die wir allgemein
Coenobien nennen, leben auch heute noch im Meere und im
süßen Wasser weit verbreitet. Sie finden sich sowohl in verschiedenen
Gruppen der Urpf l anz en (Protophytd), ..als der
Ur t i e r e (Protozoa).
Um nun weiterhin diejenigen Ahnen unseres Geschlechtes
kennen zu lernen, welche sich phylogenetisch zunächst aus den
Moraeaden hervorbildeten, brauchen wir bloß die ontogenetische
Verwandlung der Morula noch einige Schritte weiter zu verfolgen.
Da sehen wir zunächst, daß die sozialen Zellen des kugeligen
Coenobiums Gallerte oder wässerige Flüssigkeit im Inneren der
Kugel abscheiden; sie selbst treten an die Oberfläche derselben
(Fig. 284 F, G). Sb verwandelt sich der solide Maulbeerkeim in
eine einfache Hohlkugel, deren Wand aus einer einzigen Zellenschicht
gebildet wird. Diese Zellenschicht nannten wir Ke im-
haut (Blastoderma), und die Hohlkugel selbst Keimblase oder
Ke imhau tb l a s e (Blastula oder Blastosphaera),
Auch die interessante Keimform der Bla s tula ist Von fundamentaler
Bedeutung. Denn die Verwandlung des Maulbeerkeims
in eine Hohlkugel erfolgt ursprünglich in ganz gleicher Weise bei
zahlreichen Tieren der verschiedensten Stämme, so z. B. bei vielen
Pflanzentieren und Würmern, bei den Ascidien, bei vielen Sterntieren
und Weichtieren, und auch beim Amphioxus. Bei denjenigen1
Tieren aber, bei denen eine eigentliche, palingenetische
Blastula in der Ontogenese fehlt, ist dieser Mangel offenbar nur
durch cenogenetische Ursachen, durch die Ausbildung eines
Nahrungsdotters und andere embryonale Anpassungsverhältnisse
bedingt. Wir dürfen daher annehmen, daß die ontogenetische
Blastula die Wiederholung einer uralten phylogenetischen Ahnenform
ist, und daß sämtliche Metazoen von einer gemeinsamen
Stammform ihren Ursprung genommen haben, welche im wesentlichen
einer solchen Keimblase gleich gebildet war. Bei vielen
niederen Tieren erfolgt die Entwickelung der Keimblase nicht
innerhalb der Eihüllen, sondern außerhalb derselben, frei im Wasser.
Dann beginnt schon frühzeitig jede Zelle der Keimhaut einen oder