
8io D ie beiden Keimblätter der Darmwand. X X V I I .
Unmittelbar vor der AfterOffnung wächst aus dem Hinterdarm
die Allantois hervor, jenes wichtige embryonale Anhangsgebilde,
welches sich bei den Placentaltieren, und nur bei diesen (also auch
beim Menschen), zur Placenta entwickelt (Fig. 211 p, Taf. VII,
Fig. 14 al). In dieser weiter entwickelten Form stellt nunmehr
der Darmkanal des Menschen, gleich demjenigen aller anderen
Säugetiere, ein schwach gekrümmtes, cylindrisches Rohr dar,
welches vorn und hinten eine Oeffnung besitzt, und aus dessen
unterer Wand zwei Anhänge hervortreten: die vordere Nabelblase
oder der Dottersack, und die hintere Allantois oder der Urharnsack
(Fig. 224, S. 410).-
Die dünne Wand dieses einfachen Darmrohres und seiner
beiden ventralen Anhänge zeigt sich bei mikroskopischer Untersuchung
aus zwei verschiedenen Zellenschichten zusammengesetzt.
Die innere Schicht, welche den gesamten Hohlraum auskleidet,
besteht aus größeren dunkleren Zellen und ist das Darmdrüsenblatt.
Die äußere Schicht besteht aus helleren kleineren Zellen und ist
das Darmfaserblatt. Eine Ausnahme Von dieser Zusammensetzung
machen nur die Mundhöhle und die Afterhöhle, weil diese aus der
äußeren Haut entstehen. Die innere Zellenauskleidung der gesamten
Mundhöhle wird daher nicht vom Darmdrüsenblatte, sondern
vom Hautsinnesblatte geliefert, und ihre fleischige Unterlage nicht
vom Darmfaserblatte, sondern vom Hautfaserblatte. Dasselbe gilt
von der Wand der kleinen Afterhöhle (TaL-VII, Fig. 15).
Fragen Sie nun, wie sich diese konstituierenden Keimblätter
der primitiven Darmwand zu den mancherlei verschiedenen Geweben
und Organen verhalten, die wir später am ausgebildeten
Darme antreffen, so ist die Antwort hierauf höchst einfach. Die
Bedeutung dieser beiden Blätter für die gewebliche Ausbildung
und Differenzierung des Darmkanales mit allen seinen Teilen läßt
sich in einem einzigen Satze zusammenfassen: es entwickelt sich
das Darmepi thel ium, d. h. die innere, weiche Zellenschicht,
welche die Höhlung des Darmkanals und aller seiner Anhänge
auskleidet, und welche unmittelbar die Ernährungsvorgänge einleitet,
einzig und allein aus dem Darmdrüs enblat te ; a l le
anderen Gewebe und Organe hingegen, die zum Darmkanal
und seinen Anhängen gehören, entstehen aus dem Da rmfa
serblat te. Aus diesem letzteren entwickelt sich also die
ganze äußere Umhüllung des Darmrohres und seiner Anhänge:
das faserige Bindegewebe und die glatten Muskeln, welche seine
Fleischhaut zusammensetzen; die Knorpel, welche dieselbe stützen,
X X V I I . Stammesgeschichte des Darmrohrs.
{z. B. die Knorpel des Kehlkopfes und der Luftröhre), die zahlreichen
Blutgefäße und Lymphgefäße, welche aus der Wand des
Darmes Nahrung auf saugen, kurz alles andere, was außer dem
Darmepithel am Darme sonst noch vorkommt. Aus demselben
Darmfaserblatte entsteht außerdem noch das ganze Gekröse oder
Fig. 424. Fig. 425.
Fig. 424. Ein einfacher Strudelwurm (Rhabdocoeluni). m Mund, s Schlund,
psd Schlundepithel, sm Schlundmuskulatur, d Magendarm, nc Nierenkanäle, nm Nieren
mündung, au Auge, na Geruchsgrube. (Schema.)
Fig. 425. Chaetonotus, eine einfachste Vermalien-Form, aus der Gruppe
der Gastrotrichen, m Mund, j Schlund, d Darm, a After, sj Sinneshaare, au Augen,
ms Muskelzellen, h Haut, f Flimmerbänder der Bauchfläche, nc Nephridien (Wassergefäße
oder Exkretionsorgane), nm deren MünduDg.
Mesenterium mit allen darin liegenden Teilen, das Herz, die großen
Blutgefäße des Körpers u. s. w. (Vergl. S. 684 und Taf. VII, Fig. 16.)
Verlassen wir nun einen Augenblick diese ursprüngliche
Anlage des Säugetierdarmes, um einen Vergleich derselben mit
dem Darmkanal der niederen Wirbeltiere und jener Wirbellosen