
522 Berechtigung der Urzeugungs-Hypothese. XV III.
Allerdings hat ein berühmter englischer Physiker, William
Thomson, die notwendige Hypothese der Urzeugung durch die
Annahme zu umgehen gesucht, daß die organischen Bewohner
unserer Erde ursprünglich von Keimen abstammen, welche von
lebendigen Bewohnern anderer Planeten herrühren, und welche zufällig
mit abgeschleuderten Bruchstücken der letzteren, mit Meteorsteinen,
auf die Erde gefallen seien. Diese Hypothese hat vielen
Beifall gefunden und_ ist sogar von einem unserer berühmtesten
Naturforscher, von Helmholtz, unterstützt worden. Indessen ist
dieselbe schon 1872 durch den scharfsinnigen Physiker Friedrich
Zoeliner in Leipzig widerlegt worden, in seinem ausgezeichneten
naturphilosophischen Werke j,Ueber die Natur der Kometen“, einem
kritischen Buche, welches überhaupt die wertvollsten „Beiträge
zur Geschichte und Theorie der Erkenntnis“ enthält. Zoellner hat
daselbst einleuchtend gezeigt, wie unwi s s ens cha f t l i ch diese
Hypothese in doppe l te r Beziehung ist, erstens in logischer oder
formaler Beziehung, und zweitens ihrem wissenschaftlichen Inhalte
nach (1. c. p. XXVI). Zugleich weist derselbe ganz richtig darauf hin,
wie unsere Hypothese der Urzeugung die notwendige „Bedingung
für die Begreiflichkeit der Natur nach dem Kausalitätsgesetze“ ist.
Ich wiederhole aber schließlich ausdrücklich|§§I| nur fü r
Moneren — nur für die strukturlosen ^Organismen 'ohne
Or g ane “ SH| dürfen wir die Hypothese der Urzeugung zu Hülfe
nehmen. Jeder differenzierte, jeder aus Organen zusammengesetzte
Organismus kann erst durch Di f f e r en z i e ru n g sein er Tei le,
mithin durch Phylogenesis, aus einem indifferenteren und niederen
Organismus entstanden sein! Wir können also nicht einmal für
die Entstehung der einfachsten Zelle jemals einen Urzeugungsprozeß
annehmen. Denn. selbst die einfachste Zelle besteht aus
mindestens zwei verschiedenen Bestandteilen: aus der inneren
festeren Kernsubstanz, dem Karyoplasma des Zellenkernes
{Nucleus), und aus der äußeren, weicheren Zellsubstanz oder dem
Protoplasma des Zellenleibes (Cytosoma). Diese beiden differenten
Teile können erst durch Sonderung aus dem indifferenten Pla sson
eines Moneres, also einer Cytode, entstanden sein. Gerade deshalb
ist die Naturgeschichte der Moneren von höchstem Interesse:
denn sie allein ist im stände, die prinzipiellen Schwierigkeiten der
Urzeugungsfrage zu beseitigen. Die noch heute lebenden Moneren
führen uns tatsächlich solche organlose und strukturlose Organismen
vor Augen, wie sie ähnlich im ersten Beginpe des organischen
Lebens auf der Erde durch Urzeugung entstanden sein müssen84).