
so klein, daß es nicht einmal das Mittelhirn von oben her bedeckt.
Eine Stufe höher wird zwar dieses letztere von dem
überwuchernden Vorderhirn ganz zugedeckt; aber das Hinterhirn
bleibt noch frei und unbedeckt. Endlich legt sich das erstere
auch über das letztere hinüber, bei den Affen und beim Menschen.
Eine gleiche allmähliche - Stufenleiter können wir auch in der
Entwickelung der eigentümlichen ’ Furchen und Wülste verfolgen,
welche aff der Oberfläche des großen Gehirns der höheren Säugetiere
so charakteristisch hervortreten (Fig. 350, 351). Wenn man
bezüglich dieser Windungen und Furchen die Gehirne der verschiedenen
Säugetiergruppen vergleicht, so findet man, daß ihre
stufenweise Ausbildung vollkommen gleichen Schritt hält mit der
Entwickelung der höheren Seelentätigkeiten. (Taf. XXII, XXIII.)
In neuester Zeit hat man diesem speziellen Zweige der
Gehirnanatomie große Aufmerksamkeit gewidmet und sogar innerhalb
des Menschengeschlechts höchst auffallende indiv idue l le
Unt e r s chiede nachgewiesen. Bei allen menschlichen Individuen,
welche sich durch besondere Begabung und hohen Verstand auszeichnen,
zeigen diese Wülste und Furchen an der Oberfläche der
großen Hemisphären eine viel bedeutendere Entwickelung als bei
dem gewöhnlichen Durchschnittsmenschen; und bei diesem wieder
eine höhere Ausbildung als bei Kretinen und anderen, ungewöhnlich
geistesarmen Individuen. Auch im inneren Bau des Vorderhirns
zeigen sich unter den Säugetieren gleiche Abstufungen.
Namentlich ist der große Balken, die Querbrücke zwischen den
beiden großen Halbkugeln, nur bei den Placentaltieren entwickelt.
Andere Einrichtungen, z. B. in dem Bau der Seitenhöhlen, welche
dem Menschen als solchem zunächst eigentümlich erscheinen,
finden sich nur bei den höheren Affenarten wieder. Man hat eine
Zeit lang geglaubt, daß der Mensch ganz besondere Organe in
seinem großen Gehirn besitze, welche allen übrigen Tieren fehlen.
Allein die genaueste Vergleichung hat nachgewiesen, daß dies
nicht der Fall ist, daß vielmehr die charakteristischen Eigenschaften
des Menschengehirns bereits bei den niederen Affen angelegt und
bei den höheren Affen mehr oder weniger entwickelt sind. Huxley
hat in seinen mehrfach angeführten wichtigen „Zeugnissen für die
Stellung des Menschen in der Natur“ (1863) überzeugend nachgewiesen,
daß innerhalb der Affenreihe die Unterschiede in der
Bildung des Gehirns eine größere Kluft zwischen den niederen
und höheren Affen, als zwischen den höheren Affen und dem
Menschen bedingen.
Höchst lehrreich und für die wichtigsten Fragen der P s y c h o lo
g ie maßgebend ist auch weiterhin die vergleichende Morphologie
und Physiologie des Gehirns der höheren und niederen
Säugetiere. Das zeigt .schon die kritische Vergleichung der zwölf
Säugetiergehirne, welche ich hier zusammengestellt habe: auf
Taf. XXII von niederen Affen und anderen Placentaltieren, auf
Taf. XXIII von Menschenaffen und Menschen. Die zwölf Figuren
stellen das Gehirn von oben gesehen dar, auf gleiche Größe reduziert;
man sieht die mannigfaltigen gewundenen Wülste (Gyn) und
die dazwischen liegenden Furchen (Sulci), welche die Großhirnrinde
dieser höheren Säugetiere in so auffallender Weise ^aus-
zeichnen. Gerade diese graue Rinde (oder der „Hirnmantel ) ist
aber das bedeutungsvolle „Se elenorgan“ im engsten Sinne, das
Werkzeug aller höheren ' Geistestätigkeit; mit seiner Zerstörung
verschwindet auch die letztere vollständig.
Wie das Zentralmark des Menschen (Gehirn und Rückenmark)
sich aus dem Medullarrohr genau ebenso wie bei allen anderen
Säugetieren entwickelt, so gilt dasselbe auch für das L e i tu n g s mark
oder für das sogenannte „per ipher i sche N e r v e n sy
stem“. Dasselbe besteht aus den sens iblen Nervenfasern,
welche in zentripetaler Richtung die Empfindungseindrücke von
der Haut und von den Sinnesorganen zum Zentralmark leiten;
und aus den motor i s chen Nervenfasern, welche .umgekehrt m
zentrifugaler Richtung die Willensbewegungen vom Zentralmark
zu den Muskeln hinleiten. Alle diese peripheren Nervenfasern
wachsen aus dem Medullarrohre hervor (Fig. 366) und sind gleich
diesem Produkte des Hautsinnesblattes. Die S p i n a l k n o t e n
(Fig- 367 spg, S. 726) sprossen aus einer dorsalen Nervenleiste des
Markrohrs hervor, welche von dessen oberer Verschlußstelle
zwischen ihm und dem Hornblatt nach abwärts wächst und sich m
der Mitte jedes Ursegmentes zu einem Ganglion spinale verdickt.
Die Eingeweideknoten des sympa thi s chen Gr enz s t rang e s
sind nur abgeschnürte Teile jener Spinalknoten. Während somit
der ganze Nervenapparat ektodermalen Ursprunges ist, entstehen
dagegen seine bindegewebigen Hüllen aus dem Hautfaserblatt, so
insbesondere die Ma rkhül len (Meninges). Das klare Verständnis
der Ontog ene se der peripheren Nerven und ihres ursprünglichen
Zusammenhanges mit dem Zentralmark einerseits, mit den Sinnesorganen
und Muskeln anderseits ergibt sich durch die kausale
Beziehung derselben zu ihrer Phy lo g ene s e , mit Hülfe des
Biogenetischen Grundgesetzes.