
alle fünf Blasen mit einer geraden Linie schneiden. Aber bei den
drei höheren Wirbeltierklassen, den Amnioten, tritt zugleich mit
der Kopf- und Nackenkrümfnung des ganzen Körpers auch eine
beträchtliche Krümmung der Gehirnanlage ein, und zwar in der
Weise, daß die ganze obere Rückenfläche des Gehirns viel stärker
wächst als die untere Bauchfläche. Infolgedessen entsteht eine
solche Krümmung, daß später die Lage der Teile folgende ist.
Das Vorderhirn hegt ganz vorn unten, das Zwischenhirn etwas
höher darüber, und das Mittelhirn Hegt am höchsten von allen und
springt am meisten hervor; das Hinterhirn liegt wieder tiefer und
das Nachhirn hinten noch tiefer unten. So verhält es sich nur bei
den drei Amniotenklassen, den Reptilien, Vögeln und Säugetieren.
(Vergl. Taf. I und XXIV, sowie Taf. VIII—XIII, S. 376.)“ '
Während so in den allgemeinen Wachstums-Verhältnissen des
Gehirns die Säugetiere noch vielfach mit den Vögeln und Reptilien
übereinstimmen, bilden sich doch bald auffallende Differenzen
zwischen beiden aus. Bei den Sauropsiden (den Vögeln und
Reptilien, Taf. VIII—X) entwickelt sich ziemlich stark das Mittelhirn
(m) und der mittlere Teil des Hinterhirns. Bei den Säugetieren
hingegen (Taf. X I—XHI) bleiben diese Teile zurück, und
dafür beginnt hier das Vorderhirn so stark zu wachsen, daß es
sich von vorn und oben her über die anderen Blasen herüberlegt.
Indem dasselbe immer weiter nach hinten wächst, bedeckt es
endlich das ganze übrige Gehirn von oben her und schließt die
mittleren Teile desselben auch von den Seiten her zwischen sich
ein (Fig. 362 364)- Dieser Vorgang ist deshalb von der größten
Bedeutung, weil gerade, dieses Vorderhirn das Organ der höheren
Seelentätigkeiten ist, weil gerade hier diejenigen Funktionen der
Nervenzellen sich vollziehen, deren Summe man gewöhnlich als
Seele oder auch als „Geist“ im engeren Sinne bezeichnet. Die
höchsten Leistungen des Tierleibes: die wunderbaren Aeußerungen
des Bewußtseins, die verwickelten molekularen Bewegungserscheinungen
des Denkens, haben im Vorderhirn ihren Sitz. Man
kann einem Säugetier, ohne es zu töten, die großen Hemisphären
Stück für Stück wegnehmen, und man überzeugt sich, wie dadurch
die höheren Geistestätigkeiten ■ Bewußtsein und Denken, bewußtes
Wollen und Empfinden, Stück für Stück zerstört und endlich ganz
vernichtet werden. Wenn man das Tier dabei künstlich ernährt,
kann man es noch lange Zeit am Leben erhalten, da durch jene
Zerstörung der wichtigsten Seelenorgane die Ernährung des ganzen
Körpers, die Verdauung, Atmung, Blutzirkulation, Harnabscheidung,
kurz die vegetativen Funktionen keineswegs vernichtet werden.
Nur die bewußte Empfindung und die willkürliche Bewegung, die
Denktätigkeit und die Kombination verschiedener höherer Seelentätigkeiten
ist abhanden gekommen.
Nun erreicht aber das Vorderhirn, das die Quelle aller dieser
wunderbarsten Nerventätigkeiten ist, nur bei den höheren Placental-
tieren jenen hohen Grad der Ausbildung, und daraus erklärt sich
ganz einfach, warum die höheren Säugetiere in intellektueller Beziehung
so weit die niederen überflügeln. Während die „Seele
der meisten niederen Placentaltiere sich nicht viel über diejenige
der Reptilien erhebt, finden wir unter den höheren Placentalien
eine ununterbrochene Stufenleiter der geistigen Fortbildung bis zu
den Affen und Menschen hinauf. Dementsprechend zeigt uns auch
Fig. 365. Gehirn des
Kaninchens. A von der
Rückenseite, B von der Bauchseite.
loi Riechlappen, / Vor-
derhim, h Hypophysis an der
Basis des Zwischenhims, I I I
Mittflhim, I V Hinterhim, V
Nachhim, 2 Sehnerv, 3 Augenbewegungsnerv,
5— 8 der fünfte
bis achte Himnerv. Bei A ist
das Dach der rechten großen
Halbkugel (I) entfernt, so daß
man in der Seitenhöhle derselben
den Streifenhügel erblickt.
Nach Gegenbaur.
ih r V o r d e r h i r n e r s ta u n lic h e V e r s c h ie d e n h e ite n in d em G r a d e d e r
A u s b i ld u n g . D ie s e r S a t z g i l t n ic h t n u r v o n d e r qua lita tive n,
s o n d e rn a u c h v o n d e r q u a n t ita t iv e n E n tw ic k e lu n g d e r S e e le n su
b s ta n z . D i e M a s s e u n d d a s G e w ic h t d e s G e h i r n s h e i d e n
m o d e rn e n S ä u g e t ie re n d e r G e g e n w a r t is t v ie l g r ö ß e r u n d d ie
D if f e r e n z ie r u n g se in e r e in ze ln e n T e ile v ie l bedeutender,,, a ls b e i
ih re n a u sg e s to rb e n e n V o r f a h r e n in d e r T e r t iä rze it . D a s lä ß t s ic h
s o g a r p a lä o n t o lo g i s c h in e in e r u n d d e r se lb e n O r d n u n g n a chw e ise n .
D ie G e h irn e d e r le b e n d e n H u f t ie re s in d (im V e r h ä l t n i s z u r K ö r p e r g
rö ß e ) 4— 6 m a l (in d e n h ö c h s te n G r u p p e n se lb s t 8 mal) so g r o ß
a ls d ie je n ig e n ih re r ä lte re n te r t iä re n A h n e n , d e re n w o h le rh a lte n e
S c h ä d e l U m f a n g u n d G e w ic h t d e s d a v o n um s c h lo s s e n e n G e h ir n s
g e n a u z u b e s t im m e n gestatten.
B e i d e n n ie d e re n S ä u g e t ie re n is t d ie O b e r f lä c h e d e r g r o ß e n
H em i s p h ä re n (des w ic h t ig s t e n T e i l e s !) g a n z g la t t u n d eben, so
z. B . b e im K a n in c h e n (F ig . 365, 366). A u c h b le ib t d a s V o r d e r h i r n