
Inhalt des sechzehnten Vortrages.
Die kausale Bedeutung des Biogenetischen Grundgesetzes. Einfluß der abgekürzten
und der gestörten Vererbung. Abänderung der Palingenesis durch die Cenogenesis.
Methode der Phylogenie nach dem Muster der Geologie. Ideale Ergänzung der zusammenhängenden
Entwickelungsreihe durch Zusammenstellung realer Bruchstücke.
Sicherheit und Berechtigung der phylogenetischen Hypothesen. Bedeutung des Am-
phioxus und der Ascidie. Naturgeschichte und Anatomie des Amphioxus. Aeußere
Körperform. Hautbedeckung. Oberhaut und Lederhaut. Achsenstab oder Chorda.
Markrohr. Sinnesorgane. Darm mit vorderem Atmungsteil (Kiemendarm) und hinterem
Verdauungsteil (Leberdarm). Leber. Pulsierende Blutgefäße. Rückengefäß^ über dem
Darme (Kiemenvene und Aorta). Bauchgefäß unter dem Darme (Darmvene und
Kiemenarterie). Blutbewegung. Leibeshöhle und Kiemenhöhle. Coelomtaschen.
Episomiten (Myotome) und Hyposomiten (Gonotome). Mantelhöhle. Mantellappen
oder Kiemendeckel. Segmentale Vornieren (Pronephridien) und Gonaden (Geschlechts-
Organe). Hoden und Eierstöcke. Wirbeltiematur des Amphioxus. Vergleichung des
Amphioxus mit den -jugendlichen Lampreten oder Petromyzonten. Vergleichung des
Amphioxus mit der Ascidie. Organisation der Manteltiere öder Tunicaten. Cellulosemantel.
Kiemensack. Darm. Nervenknoten. Geschlechtsorgane.
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B d . VI. P isces.) ■ Leipzig.
Meine Herren!
Indem wir uns von der Keimesgeschichte des Menschen jetzt
zur Stammesgeschichte- desselben wenden, müssen wir beständig
den unmittelbaren ursächlichen Zusammenhang im Auge behalten,
welcher zwischen diesen beiden Hauptzweigen der menschlichen
Entwickelungsgeschichte besteht. Dieser bedeutungsvolle Kausalnexus
fand seinen einfachsten Ausdruck in dem „Grundgesetze der
organischen Entwickelung“, dessen Inhalt und Bedeutung wir schon
im ersten Vorträge ausführlich erörtert haben. Nach jenem Biogenetischen
Grundgesetze ist die, On to g eni e eine kur ze und
g e d r ä n g t e Re k a p i tu l a t io n der Phylog enie . Wenn diese
Wiederholung oder der Auszug der Stammesgeschichte durch die
Keimesgeschichte überall vollständig wäre, so würde es eine sehr
einfache Aufgabe sein, die ganze Phylogenie auf Grundlage der
Ontogenie herzustellen. Wenn man wissen wollte, von welchen Vorfahren
jeder höhere Organismus, also auch der Mensch, abstamme,
und aus welchen Formen sich sein Geschlecht als Ganzes entwickelt
habe, so brauchte man bloß einfach die Formenkette der individuellen
Entwickelung vom Ei an genau zu verfolgen; man würde
dann jeden hier vörkommenden Forinzustand ohne weiteres als
Repräsentanten einer ausgestorbenen alten Ahnenform betrachten
können. Nun ist aber diese unmittelbare Uebertragung der onto-
genetischen Tatsachen auf phylogenetische Vorstellungen nur bei
einem sehr kleinen Teile der Tiere ohne Einschränkung gestattet.
Es gibt allerdings auch jetzt noch eine Anzahl von niederen wirbellosen
Tieren (z. B. einige Pflanzentiere und Wurmtiere), bei
denen wir jede Keimform ohne weiteres als die historische Wiederholung
oder das porträtähnliche Schattenbild einer ausgestorbenen
Stammform zu deuten berechtigt sind. Aber bei der großen Mehrzahl
der Tiere und auch beim Menschen ist das deshalb nicht möglich,
weil durch die unendlich verschiedenen Existenzbedingungen
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