
sind. Damit ist der ganze Lebenslauf dieses merkwürdigen, für die
Phylogenie bedeutungsvollen Urtieres vollendet89).
Wenn wir nun diese permanenten Blastosphaeren mit den
freischwimmenden gleichgebildeten Flimmerlarven oder Blastula-
Zuständen vieler niederen Tiere vergleichen, so werden wir daraus
mit Sicherheit auf die frühere Existenz einer uralten und längst
ausgestorbenen gemeinsamen Stammform schließen dürfen, welche
im wesentlichen der Blastula gleich gebildet war. Wir wollen
dieselbe Blastaea nennen. Ihr ganzer Körper bestand in vollkommen
ausgebildetem Zustande aus einer einfachen, mit Flüssigkeit
oder strukturloser Gallerte gefüllten Hohlkugel, deren Wand
Fig. 285. r-: F'ig. 286.
Fig. 285. Die norwegische Flimmerkugel (Magosphaera planula), mittelst
ihres Flimmerkleides umherschwimmend, von der Oberfläche gesehen.
Fig. 286. Dieselbe im Durchschnitt. Man sieht, wie die bimförmigen
Zellen im Zentrum der Gallertkugel durch einen fadenförmigen Fortsatz verbunden sind.
Jede Zelle enthält außer dem Kern eine kontraktile Blase.
eine einzige Schicht von gleichartigen, mit Flimmerhaaren bedeckten
Zellen bildete. Es werden wahrscheinlich in laurentischer
Zeit viele verschiedene Arten und Gattungen von solchen Blastaeaden
oder Fl imme rku g e ln existiert und eine besondere Klasse von
pelagischen Protisten gebildet haben.
Als einen merkwürdigen Beweis des naturphilosophischen
Genius, mit welchem Carl Ernst von Baer in die tiefsten Geheimnisse
der tierischen Entwickelungsgeschichte eingedrungen
war, will ich die Bemerkung einschalten, daß derselbe schon im
Jahre 1828 .(also zehn Jahre vor Begründung der Zellentheorie 1)
die hohe Bedeutung der Blastosphaera geahnt und in wahrhaft
prophetischer Weise in seiner klassischen „Entwickelungsgeschichte
der Tiere“ hervorgehoben hat (Band I, S. 223). Die betreffende
Stelle lautet: „Je weiter wir in der Entwickelung zurückgehen, um
desto mehr finden wir auch in sehr verschiedenen Tieren eine
Uebereinstimmung. Wir werden hierdurch zu der Frage geführt:
ob nicht im Beginne der Entwickelung alle Tiere im wesentlichen
sich gleich sind, und ob nicht für alle eine gemeinschaftliche Urform
besteht? — Da der Keim das unausgebildete Tier selbst ist,
so kann man nicht ohne Grund behaupten, daß die einfache
Blasenform die g eme ins cha f t l i che Grundform ist,
aus der sich a l l e Tie r e ni cht nur der Id ee nach,
sondern his tor i s ch entwi cke ln. “ Dieser letztere Satz hat
nicht nur ontog ene t i s che , sondern auch phylog ene t i s che
Bedeutung, und ist um so-bemerkenswerter, als damals die Blastula
bei dén verschiedensten Tieren, sowie die Zusammensetzung ihrer
Wand aus einer einzigen Zellenschicht noch gar nicht bekannt
war. Und doch wagte Baer, trotz der höchst mangelhaften
empirischen Begründung, den kühnen Satz aufzustellen.* „Beim
ersten Auftreten sind vielleicht alle Tiere gleich und nur hohl e
Ku g e ln. “
Sehr interessant ist die Tatsache, daß auch im Pflanzenreiche
die einfache Ho h lku g e l gleicherweise als eine elementare Urform
des vielzelligen Organismus auftritt. An der Oberfläche des Meeres
sowohl, als unterhalb derselben (bis zu 2000 Meter Tiefe) finden
sich schwimmend grüne Kugeln, deren Wund aus einer einfachen
Schicht von chlorophyllhaltigen Zellen zusammengesetzt ist. Der
Botaniker Schmitz hat dieselben 1879 unter dem Namen Halo-
sphaera viridis beschrieben und gezeigt, daß sie sich durch
Schwärmsporen fortpflanzen, welche aus der Vierteilung jener
Zellen entstehen. Eine zweite Art (Halosphaera blastula), welche
1 Millimeter Durchmesser erreicht, habe ich in meinen „Planktonstudien“
beschrieben (Jena, 1890, S. 34).
An die uralte Ahnenform der Blastaea schließt sich nun
als sechste Stufe unseres Stammbaumes zunächst die daraus entstandene
Ga s t rae a an. Wie Sie bereits wissen, ist gerade
diese Ahnenform von ganz eminente r phi losophischer
Bedeutung. Ihre frühere Existenz wird sicher bewiesen durch
die höchst wichtige Gäst rula , die wir als vorübergehenden
Keimzustand in der Ontogenese sämtlicher Mbtazöen antreffen
(Fig. 284 J K). Wie Sie sich erinnern, bildet die ursprüngliche,
palingenetische Form der Gastrula einen kugeligen, eiförmigen