
Knorpeln, Muskeln und Hautteilen beim Menschen ein unnützes
Anhängsel ist, ohne die physiologische Bedeutung, welche man
ihr früher irrtümlicherweise zuschrieb. Sie ist der rückgebildete
Rest von dem spitzen und frei beweglichen, höher entwickelten
Säugetierohr, dessen Muskeln wir zwar noch besitzen, aber nicht
mehr gebrauchen können. Wir fanden ferner am inneren Winkel
unseres Auges die merkwürdige kleine, halbmondförmige Falte,
die für uns ohne jeglichen Nutzen und nur insofern von Interesse
ist, als sie das letzte Ueberbleibsel der Nickhaut darstellt; jenes
dritten inneren Augenlides, welches schon bei den alten Haifischen,
aber auch bei vielen Amniontieren noch heute eine große
physiologische Bedeutung besitzt.
Zahlreiche und interessante dysteleologische Beweismittel liefert
uns ferner der Bewe g ü ng s a ppa r a t , und zwar ebenso das
Skelett als das Muskelsystem. Ich erinnere Sie nur an das frei
vorstehende Schwänzchen des menschlichen Embryo und an die
darin entstehenden rudimentären Schwanzwirbel nebst den daran
befindlichen Muskeln; ein für dem Menschen völlig nutzloses Organ,
aber von hohem Interesse als rückgebildeter Ueberrest des
langen, aus zahlreichen Wirbeln und Muskeln bestehenden Schwanzes
unserer älteren Affenahnen. Von diesen haben wir auch verschiedene
Knochenfortsätze und Muskeln geerbt, die ihnen bei
ihrer kletternden Lebensweise auf Bäumen von großem Nutzen
waren, während sie bei uns außer Gebrauch gekommen sind. Auch
an verschiedenen Stellen unter der Haut besitzen wir Hautmuskeln,
die wir nie gebrauchen, Ueberreste eines mächtig entwickelten
Hautmuskels unserer niederen Säugetier-Vorfahren. Dieser „Panni-
culus carnosus“ hatte die Aufgabe, die Haut zusammenzuziehen
und zu runzeln, wie wir es noch täglich an den Pferden sehen,
die dadurch die Fliegen verjagen. Ein noch bei uns tätiger Rest
des großen Hautmuskels ist der Stirnmuskel, mittelst dessen wir
unsere Stirn runzeln und die Augenbrauen heraufziehen; aber
einen anderen ansehnlichen Ueberrest desselben, den großen Hautmuskel
des Halses {Platysma myoides), vermögen wir nicht mehr
willkürlich zu bewegen.
Wie an diesen animalen Organsystemen unseres Körpers, so
treffen wir auch an den vegetalen Apparaten eine Anzahl von
rudimentären Organen an, von denen wir viele schon gelegentlich
kennen lernten. Am Ernährung sappa r a t e gehört dahin die
innere Brustdrüse (Thymus) und die merkwürdige Schilddrüse
{Thyreoidea), die Anlage des „Kropfes“ und der Ueberrest der
Flimmerrinne, welche die Turiicaten und Acranier unten am Kiemenkorbe
besitzen; ferner der Wurmfortsatz des Blinddarms. Am
Gefäßsystem treffen wir eine Anzahl von nutzlosen Strängen an,
welche die Ueberbleibsel von verödeten Gefäßen darstellen, die
früher als Blutkanäle tätig waren: so den „Ductus Botalli“
zwischen Lungenarterie und Aorta, den „Ductus venosus Arantii“
zwischen Pfortader und Hohlvene, und viele andere. Von ganz
besonderem Interesse aber sind die zahlreichen rudimentären
Organe am Harn- und Ges chlecht sapparate. Diese sind
meistens beim einen Geschlechte entwickelt und nur beim anderen
rudimentär. So bilden sich aus den Wolff sehen Gängen beim
Manne die Samenleiter, während beim Weibe nur die Gartnerschen
Kanäle als Rudimente derselben spurweise fortdauern. Umgekehrt
entwickeln sich aus den Miillerschen Gängen beim Weibe die
Eileiter und der Fruchtbehälter, während beim Manne nur die
untersten Enden derselben als nutzloser „männlicher Fruchtbehälter“
(Vesicula prostatica) übrig bleiben. So besitzt auch der Mann noch
in seinen Brustwarzen und Milchdrüsen die Rudimente von Organen,
welche in der Regel nur beim Weibe in Funktion treten.
Eine genauere anatomische Durchforschung des menschlichen
Körpers würde uns so noch mit vielen anderen rudimentären Organen
bekannt machen, welche alle einzig und allein durch die
Descendenztheorie zu erklären sind. Robert Wiedersheim hat in
seiner Schrift über „den Bau des Menschen als Zeugnis für seine
Vergangenheit“ eine große Anzahl derselben zusammengestellt.
Sie gehören zu den wichtigsten Zeugnissen für die Wahrheit der
mechanischen Naturauffassung und zu den stärksten Gegenbeweisen
gegen die hergebrachte teleologische Weltanschauung. Wenn der
letzteren zufolge der Mensch, und wenn ebenso jeder andere Organismus
von Anfang an zweckmäßig für seinen „Lebens zwe ck“
eingerichtet und durch einen Schöpfungsakt ins Dasein gerufen
wäre, so würde die Existenz dieser rudimentären Organe ein unbegreifliches
Rätsel sein; es wäre durchaus nicht einzusehen, warum
der Schöpfer seinen Geschöpfen auf ihrem ohnehin beschwerlichen
Lebensweg auch noch dieses unnütze Gepäck aufgebürdet hätte.
Hingegen können wir mittelst der Descendenztheorie die Existenz
derselben in der einfachsten Weise erklären, indem wir sagen:
Die rudimentären Organe sind Körperteile, welche im Laufe der
Jahrhunderte, infolge von Nichtgebrauch, allmählich außer Dienst
getreten sind; Organe, welche bei unseren tierischen Vorfahren
bestimmte Funktionen verrichteten, welche aber für uns selbst ihre