
Ein Teil dieser Embryonalzellen soll nun zur Vergrößerung des
Entoderms, ein anderer Teil zur Bildung von Blutzellen verwendet
werden. „Indem die Merocyten einerseits ununterbrochen neues
Nährmaterial aus dem Dotter aufnehmen, andererseits dasselbe fortwährend
in Form von Zellen an die Keimblätter des werdenden
Embryo abgeben, stellen sie zwischen letzterem und dem Dotter
ein wichtiges Bindeglied dar“ (Rückert). Aehnlich wie die Selachier
verhalten sich hierin auch viele andere Fische, sowie die Reptilien
und Vögel.
Der Ursprung der Merocyten ist noch zweifelhaft. Die einen
Embryologen leiten sie direkt vom inneren Keimblatt ab und
lassen andauernd einen Teil der Entodermzellen aus demselben
austreten und sich vermehren (Rückert, Hoffmann u. a.) Andere
hingegen nehmen an, daß sie aus einer besonderen Zellenschicht
hervorgehen, welche in der Peripherie, der Keimscheibe
zwischen den beiden primären Keimblättern sich gebildet hat und
als ein peripheres Mesoderm aufgefaßt werden kann (.Acroblast
von Kollmann, Haemoblast von Räuber u. a.). Eine dritte Ansicht
wurde 1868 von His auf gestellt und legte den Grund zu
seiner berühmten „Pa rabla s t entheor ie “ Nach dieser vielbewunderten
Theorie gehören die sämtlichen Zellen, welche die Gewebe
des Blutsystems und des Skelettsystems (Konnektiv, Knorpel,
Knochen u. s. w.) zusammensetzen, gar nicht zum Körper des"
geschlechtlich erzeugten Embryo, sondern sind fremde partheno-
genetische Einwanderer, durch ^unbefleckte Empfängnis“ aus jungfräulichen
Follikelzellen des mütterlichen Eierstockes entstanden.
Jedes Wirbeltier (also auch der Mensch) ist demnach ein Doppelwesen
und entsteht durch Symbiose , durch Zusammenwachsen
von zwei ganz verschiedenen selbständigen Tieren. Obgleich diese
naturwidrige Parablastentheorie und die verwandten pseudomechanischen
Theorien von His ein Decennium hindurch großes Aufsehen
erregten, sind sie doch jetzt fast allgemein verlassen (vergl.
S. 56, sowie meine Schrift über „Ziele und Wege der heutigen
Entwickelungsgeschichte“, Jena, 1875). ■
Für die Beurteilung jener Dotterzellen und der ersten Blutbildung
im Wirbeltierkeime sind nach meiner Ansicht folgende
leitende Grundsä t ze festzuhalten: 1. Die Entstehung der Merocyten
im Dotter und ihre Verwendung im Keime der meroblastischen
Wirbeltiere ist auf alle Fälle eine c eno g ene t i s ch e
Erscheinung; denn alle meroblastischen Vertebraten stammen von
holoblastischen-Ahnen ab, deren pa l ing ene t i s che r Keim noch
gar keinen selbständigen Nahrungsdotter besitzt (S. 203, 228).
2. Demnach waren die Dotterzellen oder Merocyten der jüngeren
meroblastischen Vertebraten bei den älteren holoblastischen durch
Zellen des inneren oder des von ihm abgeleiteten mittleren Keimblattes
vertreten (Dotterzellen in der Bauchwand des Urdarms von
Cyclostomen, Ganoiden, Amphibien). 3. Do t t e r s a c k und
F ru ch th o f sind ste t s Te i l e des Embryo; die ersteren
können nur als pheriphere Keimorgane (Embryorgana) dem Dauerleibe
des letzteren (Menosoma) gegenübergestellt werden (S. 293,
310). 4, Da das Mesoderm bei allen Wirbeltieren vom Ento -
derm stammt, so ist es für die Frage vom ersten Ursprung der
Blutzellen von untergeordneter Bedeutung, ob dieselben alle vom
ersteren („Gefäßblatt“) oder teilweise auch vom letzteren abzuleiten
sind. 5. Da die primitiven Blutzellen oder Lymphz e l len echte
Wander-z eilen sind, können sie schon sehr frühzeitig aus der
Ursprungsstätte ihrer Keimblattes auswandern und in weit entfernten
Gegenden des Keimes sich ausbreiten.
Mit der falschen Parablastentheorie von His hat man irrtümlicherweise
öfter die spätere Me s enchymtheo r ie von Hertwig
verwechselt, welche dieser ausgezeichnete Embryologe in seiner
Coelomtheorie begründet und in seinem „Lehrbuch der Entwickelungsgeschichte“
weiter ausgeführt hat. Unter dem Namen Mes-
enchym, Zwischenkeim oder Zwischenblatt, faßt Hertwig alle diejenigen
Keimanlagen zusammen, welche aus den epithelialen vier
sekundären Keimblättern nicht direkt oder durch Faltung entstehen,
sondern dadurch, daß einzelne Zellen derselben aus ihrem
epithelialen Verbände ausscheiden; indem sie als amoeboide
„Wanderzellen“ (Planocyten) überall' in die Lücken und Spalträume
zwischen den vier sekundären Keimblättern eindringen und sich
vermehren, geben sie verschiedenen Organen in weit getrennten
Körperteilen den Ursprung. Gewöhnlich scheiden die Mesenchym-
zellen zwischen sich reichliche Mengen von Zwischenmasse oder
Intercellarsübstanz ab; diese ist flüssig und formlos im Blut, fest
und geformt in der Bindesubstanz (Fig. 449). Das halbflüssige
Gallertgewebe (Fig. 448) bildet eine Zwischenform zwischen beiden.
Hertwig hat in seiner vielfach anregenden „Mesenchymtheorie“
die beiden großen Ge webe-Gruppen der „Bindesubstanzen“
(Konnektive) und der „Blutsubstanzen“ (Lymphoide) allen übrigen
Keimanlagen vereinigt' gegenüberstellt, und demgemäß auch in
einem besonderen Kapitel „die Organe des Zwischenblattes oder
Mesenchyms“ als eine besondere Hauptgruppe von allen übrigen