
charakteristische Abdrücke ihrer Körperform im weichen Schlamm
hinterließen, gehören vor allen die festeren Teile der Tiere und
Pflanzen, die während der Ablagerung jener Schlammschicht
daselbst lebten und starben.
Jede neptunische Gesteinsschicht enthält demnach ihre charakteristischen
Versteinerungen, die Reste von Tieren und Pflanzen,
welche während jener bestimmten Periode der Erdgeschichte gelebt
haben. Indem man nun diese Schichten vergleichend züsammen-
stellt, ist man im stände, die ganze Reihe der Erdperioden im
Zusammenhänge zu übersehen. Alle Geologen sind jetzt darüber
einig, daß eine solche bestimmte historische Reihenfolge von Ge-
birgsformationen nachzuweisen ist, und daß die untersten dieser
Schichten in uralten, die obersten derselben in den jüngsten Zeiten
abgelagert worden sind. Aber- an keiner Stelle der Erde findet
sich die ganze Reihenfolge der Schichtensysteme vollständig übereinander;
an keiner Stelle ist dieselbe auch nur annähernd vollständig
beisammen. Vielmehr ist die Reihenfolge der verschiedenen
Erdschichten und der ihnen entsprechenden Zeiträume der Erdgeschichte,
wie sie allgemein von den Geologen angenommen wird,
nur eine ideale, in der Wirklichkeit nicht vorhandene Konstruktion,
entstanden durch Zusammenstellung der einzelnen Erfahrungen,
welche an verschiedenen Stellen der Erdoberfläche über die Aufeinanderfolge
der Schichten gemacht worden sind (vergleiche den
XVIII. Vortrag).
Genau ebenso werden wir jetzt bei der Phylogenie des Menschen
verfahren. Wir werden versuchen, aus verschiedenen phylogenetischen
Bruchstücken, die sich bei sehr verschiedenen Gruppen
des Tierreiches vorfinden, ein ungefähres Gesamtbild von der
Ahnenreihe des Menschen zusammenzusetzen.- Sie werden sehen,
daß wir wirklich im stände sind, durch die richtige Zusammenstellung
und Vergleichung der Keimesgeschichte von sehr verschiedenen
Tieren uns ein annähernd vollständiges Bild vpn der
paläontologischen Entwickelungsgeschichte der Vorfahren des Menschen
und der Säugetiere zu verschaffen; ein Bild, welches wir
aus der Ontogenie der Säugetiere allein niemals hätten erschließen
können. Infolge der erwähnten cenogenetischen Prozesse, der gestörten
und der abgekürzten Vererbung, sind in der individuellen
Entwickelungsgeschichte des Menschen und der übrigen Säugetiere
ganze Entwickelungsreihen niederer Stufen,-besonders aus den
frühesten Perioden, ausgefallen oder durch Abänderungen gefälscht.
Aber bei niederen Wirbeltieren und bei den wirbellosen Vorfahren
treffen wir gerade jene niederen Formstufen in ihrer ursprünglichen
Reinheit vollständig an. Insbesondere haben sich bei dem
allerniedrigsten Wirbeltiere, beim Amphioxus, gerade die ältesten
Stammformen noch vollständig in der Keimesentwickelung konserviert
Weiterhin finden sich wichtige Anhaltspunkte bei den
Fischen vor, welche zwischen den niederen und höheren Wirbeltieren
in der Mitte stehen und uns über den Verlauf der Phylo-
genesis einige Perioden weiter aufklären. An die Fische schließen
sich die Amphibien an, deren Keimesgeschichte wir ebenfalls höchst
wichtige Aufschlüsse verdanken. Sie bilden den Uebergang zu den
Amnioten oder höheren Wirbeltieren, bei denen die mittleren und
älteren Entwickelungsstadien der Vorfahren entweder gefälscht
oder abgekürzt sind, wo wir aber die neueren Stadien des phylogenetischen
Prozesses in der Ontogenesis noch heute wohl konserviert
finden. Wir sind also im stände, indem wir die individuellen
Entwickelungsgeschichten der verschiedenen Wirbeltiergruppen zusammenstellen
und vergleichen, uns ein annähernd vollständiges
Bild von der paläontologischen Entwickelungsgeschichte der Vorfahren
des Menschen innerhalb, des Wirbeltierstammes zu verschaffen.
Wenn wir aber von den niedersten Wirbeltieren noch
tiefer hinabsteigen und deren Keimesgeschichte mit derjenigen der
stammverwandten wirbellosen Tiere vergleichen, können wir den
Stammbaum unserer tierischen Ahnen noch viel weiter, bis zu den
niedersten Wurmtieren und Urtieren hinab, verfolgen.
Indem wir nun jetzt den dunkeln Pfad dieses phylogenetischen
Labyrinthes betreten, festhaltend an dem Ariadnefaden des B i o g
ene t i s chen Grund g e s e t z e s und geleitet von der Leuchte
der v e r g l e i ch en d e n Ana tomie , werden wir zunächst nach
der eben erörterten Methode aus den mannigfaltigen Keimesgeschichten
sehr verschiedener Tiere diejenigen Fragmente herausfinden
und ordnen müssen, aus denen sich die Stammesgeschichte
des Menschen zusammensetzen läßt. Dabei möchte ich Sie noch
besonders darauf aufmerksam machen, daß wir uns dieser Methode
hier ganz mit derselben Sicherheit und mit demselben Rechte bedienen,
wie in der Geologie. Kein Geologe hat mit Augen gesehen,
daß die ungeheuren Gebirgsmassen,1 welche unsere Steinkohlenformation,
unser Salzgebirge, den Jura, die Kreide u. s. w,
zusammensetzen, wirklich aus dem Wasser abgesetzt worden sind.
Dennoch zweifelt kein Einziger an dieser Tatsache. Auch hat
kein Geologe wirklich beobachtet, daß diese verschiedenen nep-
tunischen Gebirgsformationen in einer bestimmten Reihenfolge