
Inhalt des siebenzehnten Vortrages.
Stammverwandtschaft der Wirbeltiere und. der Wirbellosen. Befruchtung des Am-
phioxus. Durch totale Eifurchung entsteht eine kugelige Keimblase (Blastula). Aus
dieser entsteht durch Einstülpung die Becherlarve (Gastrula). Diese entwickelt sich
rasch zur Chordula. In der Mitte des Rückens entsteht das ektodermale Nervenrohr,
darunter die entodermale Chorda, und zu beiden Seiten derselben die paarigen Coelom-
taschen, ausgehend von den beiden Mesoderm-Urzellen. Die Coelomtaschen zerfallen
durch eine seitliche Längsfalte in Rückentaschen (Episomiten) und Bauchtaschen (Hypo-
somiten). Durch transversale Gliederung entstehen aus ersteren die Muskeltaschen
(Myotome), ^aus letzteren die Geschlechtstaschen (Gonotome). Der Darmkanal zerfällt
in einen vorderen Kiemendarm und einen hinteren Leberdarm. Aus der Seitenwand
des Körpers wachsen ein paar Hautfalten (Mantellappen oder Kiemendeckel) hervor
und bilden durch Verwachsung auf der- Bauchseite die weite Kiemenhöhle (oder Mantelhöhle).
Die Ontogenese der Ascidie ist anfangs mit der des Amphioxus identisch. Es
entsteht dieselbe Gastrula und Chordula. Der Schwanz mit der Chorda wird abgestoßen,
Die Ascidie setzt sich fest und umhüllt sich mit dem Cellüiosemantel. Copelaten
oder Appendicularien, Manteltiere, welche zeitlebens auf der Stufe der Ascidienlarve
stehen bleiben und Ruderschwanz nebst Chorda beibehalten. Allgemeine Vergleichung
und Bedeutung des Amphioxus und der Ascidie.
Literatur :
A. Kowalevslcy, 1867. Entwickelungsgeschichte des Am phioxus lanceolàtus. Mém.
Acad. P étersb o u rg , Tome X L
D e r s e lb e ., 1876. Weitere Studien über die Entwickelungsgeschichte des A m p h io xu s
lanceolatus. A rch. f . mikr. A n a t B d . X III. Bonn.
Berthold H ä tsch e le , 1881. Studien über E n tw ick e lu n g des Amphioxus. A rb. Zool.
In st. Wien, B d . IV .
D e r s e l b e , 1888. TJeber den Schichtenbau des Am phioxus. A nat. A n z., B d . III.
A. K ow a le v slcy , 1866. Entwickelungsgeschichte der einfachen Ascidien. Mém. Acad.
Pétersbourg, Tome X ..
D e r s e l b e , 1871. Weitere S tu d ien , über die Entw ickelung der einfachen Ascidien.
A rch . f^ m ikr. A n at., B d . V II. Bonn.
C. K u p ffe r , 1872. Z u r Entw ickelung der einfachén Ascidien. A rch. f . m ikr. A nat.,
; B d. V III.
O. S e e lig e r , 1882. Z u r Entwickelungsgeschichte der Ascidien. Sitzungsber. Wien.
Akad., und 1884, fen aisch e Zeitschr. f . N aturw ., B d . X V III.
Eduard Van Beneden e t - Charles JuUn, 1884. L a . segmentation chez les
Ascidiens, Développement d’une Phalhcsie etc. A rch, de Biologie, Tome V.
Arthur Willey, 1893. Studies on the Protochordata.
D e r s e l b e , 1894. Am phioxus and the ancestry o f the Vertebrates. London.
Korschelt und Helder, 1893. Vergleichende Entwickelungsgeschichte der wirbellosen
Tiere. 35. K ap. : Tunicaten. 36. K ap .'. Cephalochorden.
Otto Van der Stricht, 1895. La maturation e t la fécondation^ de l’ o eu f de
1’Am phioxus. '(A rch, de B io l.) B ru xelles. '
Johannes Sobotta, 1895— 1897. D ie B efru ch tu n g des E ies und die Gastrulation
vom Amphioxus. Würzburg.
Heinrich Em s t Ziegler, 1902. Vergleichende Entwickelungsgeschichte der niederen
Wirbeltiere. II. K a p ite l: Leptocardier (Am phioxus).
Meine Herren!
D ie Eigentümlichkeiten des Körperbaues, durch welche sich
die Wirbeltiere von den Wirbellosen unterscheiden, sind so hervortretend,
daß die' Verwandtschaft dieser beiden Hauptgruppen
des Tierreiches in früheren Zeiten der Systematik die größten
Schwierigkeiten bereitete. Als man der Abstammungslehre entsprechend
die Verwandtschaft der verschiedenen Tiergruppen in
mehr als bildlichem Sinne, in wirklich genealogischem Sinne zu
betrachten begann, trat auch diese Frage alsbald in den Vordergrund,
und schien eines der größten Hindernisse für die Durchführung
der Descendenztheorie zu bereiten. Schon früher, als man
ohne den Grundgedanken des wahren genealogischen Zusammenhanges
die Verwandtschafts-Verhältnisse der großen Hauptgruppen
des Tierreiches, der sogenannten „Typen“ von Baer und Cuvier,
untersuchte, hatte man hier und da bei verschiedenen Wirbellosen
Anknüpfungspunkte für die Wirbeltiere zu finden geglaubt; einzelne
Würmer namentlich schienen im Körperbau den Wirbeltieren sich
zu nähern, so z. B. der im Meere lebende Pfeilwurm (Sagitta).
Allein bei tieferem Eingehen zeigten sich die versuchten Vergleiche
unhaltbar. Nachdem Darwin durch seine Reform der Descendenz-
theorie den Anstoß zu einer wahren Stammesgeschichte des Tierreiches
gegeben hatte, schien gerade die Lösung dieser Frage besonders
schwierig. Als ich selbst in meiner Generellen Morphologie.(
1866) den ersten Versuch unternahm, die Descendenztheorie
speziell durchzuführen und auf das natürliche System anzuwenden,
hat kein phylogenetisches Problem mir ' solche Bedenken verursacht,
als die Anknüpfung der Wirbeltiere an die Wirbellosen.
Gerade zu dieser, Zeit aber wurde ganz unverhoffterweise
die wahre Anknüpfung entdeckt, und zwar an einem Punkte, wo
man sie am wenigsten erwartete. Gegen das Ende des Jahres 1866
erschienen in den Abhandlungen der Petersburger Akademie zwei