
gebunden ist, und zwar an jene Ganglienzellen oder Neuronen,
welche das Zentralnervensystem zusammensetzen. Alle Naturforscher
ohne Ausnahme stimmen darin überein, daß das Zentral ne
rv ens y s tem das Or g an des Se e l enl ebens der Tiere
ist, und man kann ja auch jederzeit diese Behauptung experimentell
beweisen. Wenn wir das Zentralnervensystem ganz oder
teilweise zerstören, so vernichten wir damit zugleich ganz oder
teilweise die '„Seele“ oder die psychische Tätigkeit des Tieres.
Wir werden also zunächst zu fragen haben, wie sich das Seelenorgan
beim Menschen verhält. Die unbestreitbare Antwort hierauf
wissen Sie bereits. Das Seelenorgan des Menschen ist seinem
Bau und Ursprung nach dasselbe Organ, wie dasjenige aller
anderen Wirbeltiere. Es entsteht als einfaches Markrohr oder
Medullarrohr aus der äußeren Haut des Embryo, aus dem Hautsinnesblatt.
Die einfache Hirnblase, welche aus dem Kopfstücke
jenes Markrohrs durch Anschwellung entsteht-, zerfällt durch
Quergliederung in fünf Hirnblasen, und diese durchlaufen während
ihrer allmählichen Entwickelhng beim menschlichen Embryo dieselben,
mehr oder weniger ähnlichen Stufen der Ausbildung, wie
bei den übrigen Säugetieren. Wie diese letzteren zweifellos eines
gemeinsamen Ursprungs sind, so muß auch ihr Gehirn und Rückenmark
desselben Ursprungs sein!
Die Physiologie lehrt uns ferner durch Beobachtung und Experiment,
daß das Verhältnis der „Seele “ zu ihrem Organ,
dem Gehirn und Rückenmark, ganz dasselbe beim Menschen wie
bei allen übrigen Säugetieren ist. Jene erstere kann ohne dieses
letztere überhaupt nicht tätig sein; sie ist an dasselbe ebenso gebunden,
wie die Muskelbewegung an den Muskel. Sie kann sich
daher auch nur im Zusammenhang mit ihm entwickeln. Wenn
wir nun Anhänger der Descendenztheorie sind, und wenn wir den
kausalen Zusammenhang zwischen der Ontogenese und der Phylogenese
zugestehen, so werden wir jetzt zur Anerkennung folgender
Sätze gezwungen sein: Die Seele oder „Psyche“ des Menschen
hat sich als Funktion des Markrohrs mit diesem zugleich entwickelt,
und wie noch jetzt bei jedem menschlichen Individuum
Gehirn und Rückenmark sich aus dem einfachen Markrohr entwickeln,
so ist auch der „Menschengeist“ oder die Seelentätigkeit
des ganzen Menschengeschlechts allmählich und stufenweise aus
der niederen Wirbeltierseele entstanden. Wie noch heute bei
jedem menschlichen Individuum der komplizierte Wunderbau des
Gehirns sich Schritt für Schritt ganz aus derselben Grundlage,
aus denselben einfachen fünf Hirnblasen wie bei allen anderen
Schädeltieren hervorbildet, sö hat auch die Menschenseele sich im
Laufe von Jahrmillionen. allmählich aus einer langen Reihe von
verschiedenen Schädeltierseelen hervorgebildet. Wie endlich noch
heute bei jedem menschlichen Embryo die einzelnen Teile des
Gehirns sich nach dem speziellen Typus des Affengehirns differenzieren,
so hat sich auch die Menschenpsyche historisch aus
der Affenseele hervorgebildet.
Freilich wird diese monistische Auffassung von den meisten
Menschen mit Entrüstung zurückgewiesen und dagegen die dualistische
Ansicht vertreten, welche den untrennbaren Zusammenhang
von Gehirn und Seele leugnet, und welche „Körper und
Gei st “ als zwei ganz verschiedene Dinge betrachtet. Allein wie
sollen wir diese allgemein verbreitete Ansicht mit den bekannten
Tatsachen der Entwickelungsgeschichte zusammenreimen? Jedenfalls
bietet dieselbe ebenso große und ebenso unübersteigliche
Schwierigkeiten für die Keimesgeschichte, wie für die Stammesgeschichte.
Wenn man mit den meisten Menschen annimmt, daß
die Seele ein selbständiges unabhängiges Wesen ist, welches ursprünglich
mit dem Körper nichts zu tun hat, sondern nur zeitweilig
in demselben wohnt, und welches seine Empfindungen
durch das Gehirn ebenso äußert, wie der Klavierspieler durch das
Klavier, so muß man in der Keimesgeschichte des Menschen einen
Zeitpunkt annehmen, in welchem die Seele in den Körper, und
und zwar in das Gehirn eintritt; und man muß ebenso beim Tode
einen Augenblick annehmen, in welchem dieselbe den Körper
wieder verläßt. Da ferner jeder Mensch bestimmte individuelle
Seeleneigenschaften von beiden Eltern geerbt hat, so muß man annehmen,
daß beim Zeugungsakte Seelenportionen von letzteren auf
den Keim übertragen werden. Ein Stückchen Vaterseele begleitet
die Spermazelle, ein Stückchen Mutterseele bleibt bei der Eizelle.
In dem Augenblicke der Befruchtung, in welchem gleiche Kernportionen
jener beiden kopulierenden Zellen zur Bildung des neuen
Kerns der Stammzelle zusammentreten (S. 145), müßten dann auch
die begleitenden immateriellen Seelenportionen zusammenfließen.
Bei dieser dualistischen Ansicht bleiben unbegreiflich die Erscheinungen
der psychischen Entwi ck e lung . Wir alle wissen,
daß das neugeborene Kind kein Bewußtsein, keine Erkenntnis von
sich selbst und von der umgebenden Welt besitzt. Wer selbst
Kinder hat und deren geistige Entwickelung verfolgt, kann bei
unbefangener Beobachtung derselben unmöglich leugnen, daß hier
biologische Entwi ckelungs-Prozes se walten. Wie alle anderen
Funktionen unseres Körpers sich im Zusammenhänge mit ihren