
Darmrohr; zu beiden Seiten dieser unpaaren Zentralorgane liegen
ein paar einfache Coelomtaschen, ursprünglich Geschlechtsdrüsen,
die vom Urmund aus sich entwickelten. Unter allen lebenden
Tieren stehen dieser wichtigen Keimform am nächsten die niedersten
Tunicaten, die Cope laten (.Appendicaria) und die Larven
der Ascidien. Da sowohl die ungegliederten Manteltiere als die
gegliederten Wirbeltiere aus derselben gemeinsamen Chordulaform
sich ontogenetisch entwickeln, ist der Schluß gestattet, daß für
beide Stämme auch eine entsprechende gemeinsame Stammform
existiert hat; wir wollen dieselben als Chordaea bezeichnen, und die
entsprechende Stammgruppe als Prochordonia oder Prochordata.
Aus dieser höchst wichtigen Stammgruppe der ungegliederten
Prochordonie r (oder „Urchordatiere“) sind divergierend die
beiden Stämme der Tunikaten und Vertebraten hervorgegangen.
Wie diese Abstammung unseres Geschlechts bei dem gegenwärtigen
Zustande unserer morphologischen Kenntnisse sieh vorstellen
und begründen läßt, werden wir nachher sehen.
Zunächst wenden wir uns jetzt zur Beantwortung der schwierigen
und vielumstrittenen Frage, .wie sich die Chordaea aus der
Gastraea entwickelt hat; — oder mit anderen Worten: „Auf
welchem Wege und durch welche Wandelungen hindurch sind aus
den einfachsten zweiblätterigen Metazoen jene charakteristischen,
dem Chordulakeim ähnlichen Tiere entstanden, welche wir als die
gemeinsamen Stammformen aller Chordonier, sowohl der Tunicaten
als der Vertebraten, betrachten?“ Bevor wir diese wichtige Frage
' _ eine der dunkelsten in der ganzen Anthropogenie — zu beantworten
versuchen, wird es zweckmäßig sein, einige leitende
Grundsätze für dieselben aufzustellen. Als solche betrachte ich
folgende vier Thesen:
> A l l e g e g l i ed e r t en Tie r e sind ur sprüng l i ch aus
ungegliederten he rvor g e g ang en, oder mit anderen Worten:
Alle Tiere, deren Körper aus einer Somitenreihe oder Metameren-
kette besteht (Vertebraten, Articulaten, Cestoden), haben sich ursprünglich
aus niederen und einfacheren Metazoen entwickelt, deren
ganzer Körper den morphologischen Wert eines einzigen solchen
Somiten oder Metameren besitzt. Dieser Satz wird jetzt, wohl von
keinem Zoologen mehr bestritten; er besitzt ebenso allgemeine
Geltung für die Keimesgeschichte wie für die Stammesgeschichte.
II. D ie Me tamer ie der Meta zoen ist ein polyphyle-
t i s cher Prozeß; die segmentale Gliederung, oder die Wiederholung
gleichartiger individueller Körperteile (Somiten) in der
Längsachse des Tieres hat sich im Laufe der organischen Erdgeschichte
mehrmals; unabhängig voneinander, vollzogen. Als
solche selbständige, innerhalb einzelner Stämme entstandene Gliederungen
sind anzusehen: 1.: die Vertebration der Wirbeltiere; 2. die
Artikulation der Gliedertiere;. 3* die Annulation der Sterntiere,
4. die Strobilation der Bandwürmer; 5. die Strobilation der Scypho-
stomen oder Becherpolypen (Ammen der acraspéden Medusen);
6. die Stengelgliederung der Phanerogamen. Alle diese Gliederungsvorgänge
treten in ähnlicher Form auf und haben ähnliche
Ergebnisse, nämlich die Multiplikation individueller Körperteile
(Somiten oder Metameren) und ihre Aufreihung in der Längs-,
achse des'Körpers; aber sowohl die morphologischen Vorgänge
als ihre physiologischen Ursachen sind im Grunde sehr verschieden,
und die „allgemeine Homologie“ jener Somiten oder Folgestücke,
ihre Homodynamie , hat ganz verschiedene Bedeutung.
III. D ie Gl iede rung der W i r b e l t i e r e er scheint
ers t an der Chordula , an jener bedeutungsvollen Keimform,
welche bereits ein dorsales Nervenrohr, ein ventrales Darmrohr,
und zwischen beiden eine axiale Chorda besitzt: drei u n g e g
l iede r t e F u n d am e n t a l o r g a n e von höchster morphologischer
Bedeutung (Fig. 86—89, S. 246). Da nun dieselbe ungegliederte
Chordula auch in der Keimesgeschichte der Manteltiere
auftritt, und da bei diesen der Körper zeitlebens ungegliedert bleibt,
so müssen wir jener Chordula die größte palingenetische Bedeutung
zuschreiben) wir dürfen daraus den Schluß ziehen, daß eine ähnliche
ungegliederte Stammform {Chordaea) dié gemeinsame Ahnenform
beider Chordonierstämme war, der Vertebraten und Tunicaten.
Dafür spricht ganz besonders, daß die endoblastische Chorda und
das darüber gelegene ektoblästische Nervenrohr bei den ^ Embryonen
aller Wirbeltiere und Manteltiere in sehr früher Zeh der
Entwickelung auftreten, überall in gleicher Weise aus den beiden
primären Keimblättern entstehen, und überall keine Spur von
Gliederung zeigen. Die letztere geht erst von den Coelomtaschen
aus, deren Epi somi ten (Myotome) sich zu Muskelplatten, die
Hyposomi ten (Gonotome) zu Geschlechtsdrüsen entwickeln.
IV. D ie Gl i ed e rung der Gl iede r t ie r e (Artikulation)
i st daher ganz verschieden von derjenigen der Wi rbel tiere
(Vertebration), trotz einer gewissen täuschenden Aehnlichkeit.
Denn die erstere betrifft vor allem die Hautdecke und das ventrale
Nervenrohr einer Tierform, die zu keiner Zeit ihres Lebens eine
Spur von einer Chorda besitzt — ganz abgesehen davon, daß auch
H a e c k e l, Anthropogenie. 5. Aufl. 3^