
entsprechenden phylogenetischen Formen bemerkten, entnommen
haben, daß einige Keimformen ganz sicher als Wiederholung entsprechender
Stammformen angesehen werden können. Als den
ersten und wichtigsten Formzustand dieser Art haben wir die
menschliche Ei z e l l e und die daraus durch Befruchtung entstehende
Stammzel le erkannt. Aus der schwerwiegenden Tatsache,
daß der ursprüngliche Keim des Menschen gleich dem Keim
aller anderen Tiere im Beginn eine einfache Zelle ist, läßt sich
mit größter Sicherheit der bedeutungsvolle Schluß ziehen, daß eine
e inz e l l ig e Stammform existiert hat, aus welcher sich alle vielzelligen
Tiere mit Inbegriff des Menschen entwickelt haben. Eine
zweite bedeutungsvolle Keimform, welche offenbar eine uralte
Stammform wiederholt, ist die Keimblase oder Blas tula, jene
einfache Hohlkugel, deren Wand aus einer einzigen Zellschicht,
der Keimhaut, besteht. Ein dritter, außerordentlich wichtiger Formzustand
der Keimesgeschichte, welcher ganz sicher und direkt auf
die Stammesgeschichte bezogen werden kann, ist die Gastrula.-
Diese höchst interessante Larvenform zeigt uns bereits den Tierleib
aus zwei Keimblättern zusammengesetzt und schon mit dem
fundamentalen Primitivorgan, dem Darmkanal, ausgestattet. Da
nun der gleiche zweiblättrige Keimzustand mit der primitiven Anlage
des Darmkanals bei allen verschiedenen Tierstämmen (mit
einziger Ausnahme der einzeilige^ Urtiere) allgemein verbreitet
ist, so können wir daraus wohl sicher auf eine gemeinsame Stammform
der ersteren schließen, welche der Gastrula gleich gebildet war,
Gastraea. Nicht minder bedeutungsvoll für unsere Phylogenie
des Menschen sind die höchst wichtigen ontogenetischen Formzustände
desselben, welche wir als Coelomül a , Chordula u.__s. w.
kennen gelernt haben, und welche gewissen Würmern, Schädellosen,
Fischen u. s. w. entsprechen. Auf der anderen Seite existieren
freilich zwischen diesen ganz sicheren und höchst wertvollen phylogenetischen
Anhaltspunkten, auf die wir immer zurückkommen
werden, große und bedauerliche Lücken der Erkenntnis; diese erklären
sich aber hinreichend aus den schon genannten Gründen,
aus der Unvollständigkeit der Urkunden in der Paläontologie,
der vergleichenden Anatomie und der Ontogenie.
Bei den ersten Versuchen, welche ich in meiner, „Generellen
Morphologie“ und „Natürlichen Schöpfungsgeschichte“ zur Konstruktion
der menschlichen Ahnenreihe unternahm, habe ich anfänglich
io, jjpäter 25—30 verschiedene Tierformen aneinander
gereiht, welche mit mehr oder weniger Sicherheit als tierische
Vorfahren des Menschengeschlechtes betrachtet werden können;
oder auch als feste Etappen, welche infjder langen Entwickelungsreihe
vom einzelligen Organismus bis zum Menschen hinauf gewissermaßen
die bedeutendsten Hauptabschnitte der Entwickelung
markieren86). Von diesen 20—30 Tierstufen kommen etwa 10— 12
auf die ältere Abteilung der wirbellosen Tiere, 18— 20 auf die
jüngere Abteilung der Wirbeltiere. Wie sich diese wichtigsten
Stammformen unserer Vorfahrenkette ungefähr auf die 5 Hauptabschnitte
der organischen Erdgeschichte hypothetisch verteilen
lassen, habe ich in der XXVI. Tabelle (Progonotaxis des Menschen)
zu zeigen versucht. Danach kommt ungefähr die Hälfte von jenen
30 Entwickelungsstufen auf das archozoische Zeitalter, auf jenen
ersten Hauptabschnitt der organischen Erdgeschichte, welcher
wahrscheinlich die größe r e Hälfte derselben einnimmt.
Wenn wir nun jetzt den schwierigen Versuch unternehmen,
den phylogenetischen Entwickelungsgang dieser 30 menschlichen
Ahnenstufen von Anbeginn des Lebens an zu ergründen, und
wenn wir es wagen, den dunklen Schleier zu lüften, der die ältesten
Geheimnisse der organischen Erdgeschichte bedeckt, so müssen
wir zweifellos den ersten Anfang des Lebens unter denjenigen
wunderbaren Lebewesen suchen, die wir „Moneren“ nennen; sie
sind die einfachsten uns bekannten Organismen und zugleich die
einfachsten, die wir uns denken können. Denn ihr ganzer Körper
besteht in vollkommen ausgebildetem Zustande lediglich aus einem
kleinen Körnchen oder Bläschen von strukturlosem Plasma, „Urschleim“
oder Pla s son, a u s der Gruppe jener ungemein wichtigen
stickstoffhaltigen Kohlenstoffverbindungen, welche jetzt allgemein
als das unentbehrliche materielle Substrat aller aktiven Lebenserscheinungen
gelten. Die Erfahrungen der letzten vier Decennien
haben uns mit wachsender Sicherheit zu der Ueberzeugung geführt,
daß überall, wo ein Naturkörper die aktiven Lebenserscheinungen
der Ernährung, der Fortpflanzung, der willkürlichen Bewegung
und der sinnlichen Empfindung zeigt, eine s t i c k s to f fha l t ig e
Ko h l e n s t o f f v e rb in d u n g aus der chemischen Gruppe der
Eiwe iß k ö rpe r tätig ist; dieses Plasma (oder Protoplasma) ist
das materielle Substrat, durch welches alle Lebenstätigkeiten vermittelt
werden. Mag man sich nun in moni st ischem Sinne die
Funktion unmittelbar als die Wirkung des materiellen Substrates
vorstellen, oder mag man „Stoff und Kraft“ in dual i st i schem
Sinne als getrennte Dinge betrachten, so viel steht fest, daß wir keinen
lebendigen Organismus bis jetzt beobachtet haben, in welchem
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