
Aehnlich wie die Hautdrüsen als lokale Vlucherungen der
Oberhaut nach innen hinein, so entstehen die Hautanhänge ,
die wir Nä g e l und Ha a re nennen, als lokale Wucherungen derselben
nach außen. Hie Nä g e l {Ungues), welche als wichtige
Schutzgebilde an der Rückenfläche des empfindlichsten Teiles
unserer Gliedmaßen, der Zehenspitzen und Fingerspitzen, auftreten,
sind Horngebilde der Epidermis,' deren Besitz wir mit den Affen
teilen. Die niederen Säugetiere besitzen an deren Stelle meistens
Krallen, die Huftiere dagegen Hufe. Die Stammform der Säugetiere
besaß unstreitig Kr a l l en oder Klauen; solche treten in der
ersten Anlage schon beim Salamander auf. Sehr entwickelt sind
hornige Krallen bei den meisten Reptilien (Fig. 318, S. 632), und
von den ältesten Vertretern dieser Klasse, den Stammrept i l ien
(■Tocosauria), haben die Mammalien sie geerbt. Ebenso wie die
Hufe der Huftiere, so sind auch die Nägel der Affen und Menschen
%us den Krallen der älteren Säugetiere entstanden. Beim menschlichen
Embryo erscheint die erste Anlage der Nägel (zwischen
Hornschicht und Schleimschicht der Oberhaut) erst im.vierten
Monate. Aber erst am Ende des sechsten Monats tritt ihr Rand
frei hervor.
Die interessantesten und wichtigsten Anhänge der Oberhaut
sind die Haare; wegen ihrer eigentümlichen Zusammensetzung
und Entstehungsweise müssen sie für die ganze Klasse der Säugetiere
als höchst charakteristische Gebilde gelten. Allerdings f in den
sich Haare auch bei vielen niederen Tieren sehr verbreitet vor,
z. B. bei den Insekten und Würmern. Allein diese Haare, ebenso
wie die Haare der Pflanzen, sind fadenförmige Anhänge der Oberfläche,
welche durch ihre charakteristische feinere Struktur und
Entwickelungsart von den Haaren der Säugetiere ganz verschieden
sind. Oken nannte deshalb letztere mit Recht „Haar .tiere“. Die
Haare des Menschen, wie aller übrigen Säugetiere, sind lediglich
aus eigentümlich differenzierten und angeordneten Epidermiszellen
zusammengesetzt. In ihrer ersten Anlage beim Embryo erscheinen
sie als solide, zapfenförmige Einsenkungen der Oberhaut in die
darunter liegende Lederhaut, ganz ähnlich den Einsenkungen der
Talg- und Schweißdrüsen. Wie bei den letzteren ist der einfache
Zapfen anfangs aus gewöhnlichen Epidermiszellen zusammengesetzt.
Im Inneren dieses Zapfens sondert sich bald eine zentrale festere
Zellenmasse von kegelförmiger Gestalt. Diese wächst beträchtlich
in die Länge, löst sich von der umgebenden Zellenmasse („Wurzelscheide“),
bricht endlich nach außen durch und tritt als Haarschaft
frei über die Oberfläche hervor. Der in der Hauteinsenkung (dem
„Haarbalg“) verborgene innerste Teil ist die Haarwurzel, umgeben
von der Wurzelscheide. Der Durchbruch der ersten Haare beim
menschlichen Embryo ^erfolgt zu Ende des fünften und im Beginn
des sechsten Monats.
Während die Keimesgeschichte der Haare in allen Einzelheiten
genau bekannt ist, stehen sich dagegen über ihre Stammesgeschichte
noch zwei verschiedene Ansichten gegenüber. Nach
der älteren Auffassung sind die Haare der Säugetiere gleichwertig
oder homolog den Federn der Vögel und den Hornschuppen der
Reptilien. Da wir alle drei Amniotenklassen von einer gemeinsamen
Stammgruppe ableiten, müssen wir annehmen, daß diese
permischen Stammreptilien (Tocosauria, S. 632) ein vollständiges
Schuppenkleid trugen, das sie von ihren karbonischen Ahnen, den
Panzerlürchen (Stegocephala, S. 626), durch V e r e rb u n g erhalten
hatten; die Knochenschuppen ihrer Lederhaut (Pholides) waren
mit Hornschuppen der Lederhaut (Lepides^xüberzogen. Beim
Uebergang vom Wasserleben zum Landleben entwickelten sich
die Hornschuppen immer stärker, während die Knochenschuppen
schon bei den meisten Reptilien rückgebildet wurden. Für die
Federn der Vögel steht fest, daß sie nur umgebildete Hornschuppen
ihrer Reptilienahnen sind; nicht so für die Haare der Säugetiere.
Für diese ist vielmehr neuerdings durch ausgedehnte Untersuchungen,
namentlich von Friedrich Maurer, die Hypothese auf-
gestellt, daß'sie aus Haut s inne sor g anen älterer Amphibienahnen
durch Funktionswechsel entstanden sind; die erste embryonale
Anlage beider Oberhautgebilde ist höchst ähnlich. Diese
neuere Ansicht, die auch von dem größten Kenner der Wirbeltiere,
Carl Gegenbaur, gestützt wird, läßt sich übrigens insofern
mit der älteren Auffassung bis zu einem gewissen Grade vereinigen,
als beiderlei Gebilde, Schuppen und Haare, ursprünglich
in engstem Zusammenhänge standen. Wahrscheinlich wuchs die
kegelförmig sich erhebende Hautsinnesknospe unter dem Schutze
der Hornschuppe hervor und wurde als Tastorgan erst später
durch Verhornung zum Haare; auch viele Haare sind noch heute
empfindliche Sinnesorgane (Tasthaare oder Spürhaare an der
Schnauze und Wange vieler Säugetiere; Schamhaare).
Diese vermittelnde Auffassung vom genetischen Zusammenhang
der Schuppen und Haare habe ich in meiner „Systematischen
Phylogenie der Wirbeltiere“ (1895, S. 433) zu begründen versucht.
Sie wird auch unterstützt durch die gleichartige Anordnung der