
besitzen; sie sind als nächste Verwandte derjenigen Würmer zu
betrachten, aus denen sich dieser letztere Stamm entwickelt hat.
Natürlich wollen wir damit nicht sagen, daß die. Wirbeltiere von
den Manteltieren abstammen, sondern nur, daß beide Gruppen
aus gemeinsamer Wurzel entsprossen sind. Offenbar haben sich
während der Primordialzeit die echten Wirbeltiere (und zwar zunächst
die Schädelloseii) aus einer Würmergruppe fortschreitend
entwickelt, aus welcher nach einer anderen rückschreitenden
Richtung hin die degenerierten Manteltiere hervorgingen“ (a. a. O.
S. 439). Jene gemeinsame ausgestorbene Stammgruppe sind eben
die Prochordonie r ; ihr ontogenetisches Schattenbild ist uns
noch heute getreu erhalten in dem Chordulake im der Vertebraten
und Tunicaten; in beträchtlich modifizierter Form existiert
es noch heute selbständig in der Klasse der Cope laten (Appen-
dicaria, Fig. 276, S. 490).
Die wertvollste Unterstützung und sachkundigste Begründung
erhielt die Chordaea-Theorie vor allem durch Carl Gegenbaur.
Dieser kritisch vergleichende Morphologe vertrat dieselbe schon
1870, in der zweiten Auflage seiner „Grundzüge der vergleichenden
Anatomie“ (S. 191, 576); zugleich machte derselbe hier zuerst auf
die wichtigen morphologischen Beziehungen aufmerksam, -welche
zwischen den Manteltieren und einem seltsamen Wurme, dem
Balanoglossus, bestehen; letzteren betrachtet er mit Recht als
Vertreter einer besonderen Würmerklasse, die er „Darmatmer“
nannte (Enteropneusta, a. a. O. S. 158, 224). Auch bei vielen
späteren Gelegenheiten hat Gegenbaur auf die nahe Blutsverwandtschaft
der Tunicaten und Vertebraten hingewiesen und einleuchtend
die Gründe entwickelt, welche uns zu der phylogenetischen Hypothese
berechtigen, beide Stämme von einer gemeinsamen Stammform
abzuleiten, einem u n g e g l i ed e r t en wurmartigen Tiere,
welches eine axiale Chorda zwischen dem dorsalen Nervenrohr
und dem ventralen Darmrohr besaß.
Weitere sehr wertvolle Unterstützungen hat später die Chor-
daea - Theorie durch die ontogenetischen und morphologischen
Untersuchungen vieler hervorragender Zoologen und Anatomen
gewonnen, unter denen wir namentlich C. Kupffer, B. Hatschek,
F. Balfour, E. Van Beneden und Julin hervorheben wollen. Seitdem
wir namentlich durch Hatscheks „Studien über Entwickelung
des Amphioxus“ alle Einzelheiten in der Keimesgeschichte dieses
niedersten Wirbeltieres genau kennen gelernt haben, hat dieselbe
für unsere Anthropogenie eine so entscheidende Bedeutung
gewonnen, daß wir sie als phylogenetische Urkunde ersten Ranges
für die Beantwortung der vorliegenden Fragen überall in den
Vordergrund stellen müssen.
Der Wert der ontogenetischen Tatsachen, welche uns jener
einzige noch existierende Acranier an die Hand gibt, ist für unsere
phylogenetischen Untersuchungen um so höher zu schätzen, als
leider d ie Pa l ä ont o lo g i e gar ke ine Urkund en über
den Ur sp ru ng der Wi rb e l t i e r e liefert. Denn alle die
wirbellosen Vorfahren derselben waren ebenso weiche, skelettlose
Tiere, und daher ihre Reste der Erhaltung in versteinertem Zustande
ebensowenig fähig, wie es auch bei den niedersten Wirbeltieren
selbst noch der Fall ist, bei den Acraniern und Cyclostomen.
Dasselbe gilt ja überhaupt für den größten Teil der Würmer oder
wurmartigen Tiere, für jenes weite Gebiet von ungegliederten
Ve rma l i en oder Helminthen, deren einzelne Klassen und
Ordnungen so weit in ihrer Organisation auseinandergehen. Die
isolierten kleineren und größeren Gruppen dieses formenreichen
Stammes sind als einzelne noch grünende Aeste eines ungeheuren
vielverzweigten Baumes aufzufassen, dessen größter Teil längst
abgestorben ist, und von dessen früherer Gestaltung keine einzige
Versteinerung berichtet. Trotzdem sind aber einzelne jener überlebenden
Gruppen von höchster phylogenetischer Bedeutung un
geben uns deutliche Fingerzeige für den Weg, auf welchem sich
die Chordonier aus Vermalien und diese aus Coelentenen entwickelt
haben. r
Versuchen wir nun, die wichtigsten unter jenen alten palm-
genetischen Formen aus den gestaltenreichen Gruppen der Niedertiere
und Wurmtiere herauszusuchen, so versteht es sich von
selbst daß keine einzige derselben als das unveränderte oder
auch’ nur als ein wenig verändertes Abbild jener längst ausgestorbenen
Stammform anzusehen ist. Die eine Form hat dieses,
die andere Form jenes Merkmal der ursprünglichen niederen Organisation
bewahrt, während andere Körperteile sich weiter entwickelt
und eigentümlich ausgebildet haben. Es wird daher hier
mehr als in anderen Teilen unseres Stammbaums, darauf ankommen,
das Ge s amtbi ld der E n twi c k e lu n g im Auge zu behalten
und die unwesentlichen, sekundären Erscheinungen von den
wesentlichen, primären zu sondern. Zugleich wird es vorteilhaft
sein vor allem die wichtigsten Fortschritte der Organisation hervorzuheben,
durch welche allmählich die einfache Gastraea zu der
viel höher stehenden Chordaea emporstieg.