
Einen ersten wichtigen Anhaltspunkt liefert uns hier die
bi la te r a le Gas t rula des Amp h io x u s (Fig. 260) S.-476).
Die zweiseitige und dreiachsige Grundform derselben deutet darauf
hin, daß schon sehr frühzeitig die Gastraeaden — die gemeinsame
Stammgruppe aller Metazoen — sich in zwei divergente Gruppen
spalteten: die e inachs ig e Ga s t raea (— die ursprüngliche
eiförmige Art, mit kreisrundem Querschnitt —) setzte sich fest
und ließ aus sich zwei Stämme hervorgehen, die Spongien und die
Cnidarien (letztere alle von einfachen hydra-ähnlichen Polypen abzuleiten).
Die dr e ia chs ig e Ga s t raea hingegen (— die abge-,
leitete zweiseitige Art, mit ovalem Quer schni t t ) nahm bei der
schwimmenden oder kriechenden Ortsbewegung eine bestimmte
Richtung und Haltung des Körpers an, für deren Erhaltung die
gleichmäßige Verteilung der Last auf beide Körperhälften (rechte
und linke) von großem Vorteil war; so entwickelte sich die typische
zweiseitige Grundform, die durch drei verschiedene Richtachsen
bestimmt wird: I. die Hauptachse oder Längsachse (mit oralem
und aboralem Pole); II. die Pf e i la chs e oder Rückenbauchachse
(mit dorsalem und ventralem Pole); III. die Quera chs e oder
Frontalachse (mit rechtem und linkem Pole); die beiden ersten
Achsen sind ungleichpolig, die letzte ist gleichpolig.-Dieselbe
zweiseitige oder bilaterale Grundform finden wir auch bei a llen
unseren künstlichen Bewegungswerkzeugen, Wagen, Schiffen u. s. w.;
denn sie ist die weitaus beste und vorteilhafteste, wenn der Körper
sich in einer beständigen festen Haltung und bestimmten Richtung
fortbewegen soll. Die natürliche Zuchtwahl wird daher schon sehr
frühzeitig diese zweiseitige Grundform bei einem Teile der Gastraeaden
entwickelt und so die Stammformen aller zweiseitigen Tiere
oder Bilaterien hervorgebracht haben.
Die Gastraea bilateralis, als deren palingenetische Wiederholung
wir die zweiseitige Gastrula des Amphioxus betrachten
dürfen, stellte den zweiblätterigen Organismus der ältesten Metazoen
in einfachster Form dar: das vegetale Entoderm; welches die einfache
Darmhöhle derselben auskleidete, diente zur Ernährung;
das flimmernde Ektoderm, welches die äußere Decke bildete, besorgte
die Ortsbewegung und Empfindung; die beiden Urmesoderm-
zellen endlich, welche rechts und links an dem Bauchrande des
Urmundes lagen, waren Gonidien oder Geschlechtszellen und vermittelten
die Fortpflanzung. Für die Erkenntnis der weiteren Entwickelungsstufen,
welche aus dieser Gastraea zunächst hervorgingen,
sind besonders bedeutungsvoll: I. die genaue Vergleichung der
Keimzustände des Amp hio xu s , welche zwischen seiner Gastrula
und Chordula Hegen; II. die morphologische Vergleichung der
einfachsten Plattentiere oder Pla toden (Platodarien und Tur-
bellavien), und mehrerer Gruppen von ungegliederten Wurmtieren
oder Ve rma l ien (Gastrotrichen, Nemertinen, Enteropneusten).
Die P la t t ent ie r e {Platodes) sind deshalb hier in erster
Linie zu betrachten, weil sie auf der Grenze zwischen den beiden
Hauptgruppen der Metazoen stehen, zwischen den Nie der tieren
{Coelenteria) und den Ob er t i eren {Coelomaria); vergl. den
Stammbaum S. 573. Mit den ersteren teilen sie den Mangel der
Leibeshöhle, des Afters und des Blutgefäßsystems; mit den letzteren
haben sie gemein die zweiseitige Grundform, den Besitz von ein
paar Nephridien oder Nierenkanälen, und die Ausbildung eines
Scheitelhirns oder cerebralen Nervenknotens. Man unterscheidet
neuerdings im Stamm der Platoden vier verschiedene Klassen: die
beiden frei lebenden Klassen der Urwürmer (Platodaria) und der
Strudelwürmer {Turbeliaria), und die-beiden parasitischen Klassen
der Saugwürmer (Trematoda) und der Bandwürmer (Cestoda). Von
diesen vier Klassen kommen hier nur die beiden ersten in Betracht;
die beiden letzten sind Schmarotzer und aus jenen durch Anpassung
an parasitische Lebensweise und nachfolgende Degeneration
heryorgegangen. , , . I . § I
X)ie Urwürme r (Platodavia) sind sehr kleine und einiacn
gebaute Plattentiere, die aber morphologisch und phylogenetisch
ein ganz besonderes Interesse besitzen. Dieselben wurden bisher
meistens nur als eine. besondere Ordnung der Strudelwürmer betrachtet
und an die Rhabdocoelen angeschlossen; sie unterscheiden
sich aber von diesen, wie von allen änderen Platoden, sehr auffallend
durch den Mang e l der Nie r enk anä le (Nephridia)
und eines gesonderten Zent ra lne rvens y s tems ; auch ist ihr
Gewebebau einfacher als bei den übrigen Plattentieren. Die
meisten hierher gehörigen Platoden {Aphanostomum, Amphi-
choerus, Convoluta, Schizoprora u. 's. w.) sind sehr zarte und
weiche Tierchen, die mittels eines feinen Wimperkleides frei im
Meere umherschwimmen, von sehr geringer Größe, wenige Millimeter
lang. Ihr länghch-runder Körper, ohne alle Anhänge, ist
bald mehr spindelförmig oder cyhndrisch, bald mehr plattgedrückt,
blattförmig. Die einfache Körperdecke bildet eine Schicht Ektodermzellen,
die FHmmerhaare tragen. Darunter Hegt eine weiche,
schwammige Marksubstanz, das sogenannte „verdauende Parenchym“,
das aus vakuolisierten EntodermzeHen besteht. Die Nahrung