
Auch die relative Stärke des Wuchses von Kopfhaar und Barthaar,
sowie die besondere Beschaffenheit des letzteren vererbt sich auffallend
in vielen Familien. Diese außerordentlichen Verschiedenheiten
in der totalen und partiellen Behaarung des Körpers, die
nicht allein bei Vergleichung der verschiedenen Menschenrassen,
sondern auch bei Vergleichung vieler Familien einer Rasse höchst
auffallend erscheinen müssen, erklären sich einfach daraus, daß
das Ha a rk l e id des Menschen im ganzen ein r u d i mentä
res Or g an i s t , eine unnütze Erbschaft, welche er von
den stärker behaarten Affen übernommen hat. Der Mensch gleicht
darin dem Elefanten, dem Rhinoceros, dem Nilpferd, den Walfischen
und anderen Säugetieren verschiedener Ordnungen, die
ebenfalls ihr ursprüngliches Haarkleid durch Anpassung fast ganz
oder doch größtenteils verloren haben.
Dasjenige Anpassungsverhältnis, durch welches beim Menschen
der Haarwuchs an den meisten Körperstellen zurückgebildet-, an
einzelnen Stellen aber konserviert oder selbst besonders stark ausgebildet
wurde, war höchst wahrscheinlich die g e s ch l e ch t l i ch e
Zuchtwahl . Wie Darwin in seinem Buche über die „Abstammung
des Menschen“ sehr einleuchtend gezeigt hat, ist gerade
in dieser Beziehung die sexuelle Selektion sehr einflußreich gewesen.
Indem die männlichen anthropoiden Affen bei ihrer Brautwahl
die wenigst behaarten Affenweibchen bevorzugten, diese
letzteren aber denjenigen Bewerbern den Vorzug gäben, die sich
durch besonders schönen Bart und Kopfhaar auszeichneten, wurde
die gesamte Behaarung allmählich zurückgebildet, hingegen, Bart
und Kopfhaar auf eine höhere Stufe der Vollendung gehoben.
Auch die stärkere Behaarung einzelner anderer Körperstellen
(Achselhöhle, Schamgegend) ist wahrscheinlich durch sexuelle Beziehungen
bedingt. Außerdem können auch klimatische Verhältnisse,
Lebensgewohnheiten oder andere, uns imbekannte Anpassungen
den Verlust des Haarkleides begünstigt haben104).
Dafür, daß unser menschliches Haarkleid direkt von den
anthropoiden Affen geerbt ist, dafür legt nach Darwin ein interessantes
Zeugnis auch die’ Richtung der rudimentären Haare auf
unseren Armen ab, welche sonst gar nicht erklärbar ist. Es sind
nämlich sowohl am Oberarm als am Unterarm die Haare mit ihrer
Spitze gegen den Ellbogen gerichtet. Hier stoßen sie in einem
stumpfen Winkel zusammen. Diese auffallende Anordnung findet
sich außer beim Menschen nur noch bei den anthropoiden Affen,
beim Gorilla, .Schimpanse, Orang und mehreren Gibbonarten
(Fig. 235, 241, S. 427$! Bei. anderen Gibbonarten sind die Haare
sowohl am Unterarm als am Oberarm gegen die Hand hin gerichtet,
wie bei den übrigen Säugetieren. Jene merkwürdige
Eigentümlichkeit der Anthropoiden und des Menschen läßt sich
einfach durch die Annahme erklären, daß unsere gemeinsamen
affenartigen Vorfahren sich gewöhnt hatten (wie es noch heute jene
menschenähnlichen Affen gewöhnt sind!), beim Regen die Hände
über dem Kopfe oder um einen Zweig über demselben zusammenzulegen.
Die Richtung der Haare nach abwärts gegen den Ellbogen
begünstigt in dieser Lage das Ablaufen des Regens. So
erzählt uns noch heute die besondere Richtung der Härchen an
unserem Unterarm von jener nützlichen Gewohnheit unserer
anthropoiden Affenahnen.
Die vergleichende Anatomie und Ontogenie weist uns bei genauerer
/Untersuchung der Hautdecke und ihrer Anhänge noch
eine ganze Anzahl von solchen wichtigen „Schöpfungsurkunden“
nach, welche die direkte Vererbung derselben von der Hautdecke
der Affen beweisen. Haut und Haar haben wir zunächst von den
anthropoiden Affen geerbt, wie diese es von den niederen Affen
und letztere wiederum von älteren Säugetieren durch Erbschaft
überkommen haben. Dasselbe gilt nun aber auch von dem anderen
hochwichtigen Organsystem, welches aus dem Hautsinnesblatte sich
entwickelt : vom Ne r v ens y s tem und den Sinnesorganen. Auch
dieses höchstentwickelte Organsystem, welches die vollkommensten
Lebensfunktionen, die S e e l ent ä t ig k e i t en , vermittelt, haben
wir zunächst von den Affen und weiterhin von niederen Säugetieren
geerbt.
Das Ne r v ens y s tem des Menschen, wie aller anderen Wirbeltiere,
stellt in ausgebildetem Zustande einen höchst verwickelten
Apparat dar, dessen anatomische Einrichtung und dessen physiologische
Tätigkeit man im allgemeinen mit derjenigen eines ausgedehnten
elektrischen Telegraphensystems vergleichen kann. Als
Hauptstation fungiert das Zent ralmark oder Zentralnervensystem,
dessen zahllose „Ganglienzellen“ oder Neuronen (Fig. 9,
S. 117) durch verästelte Ausläufer sowohl untereinander als mit
unzähligen feinsten Leitungsdrähten Zusammenhängen. Letztere
sind die peripherischen, überall verbreiteten „Nervenfasern“ ; sie
stellen zusammen mit ihren Endapparaten, den Sinnesorganen u. s. w.
das L e i tung sma rk oder das peripherische Nervensystem dar.
Teils leiten sie als sens ible Nervenfasern die Empfindungseindrücke
der Haut und anderer Sinnesorgane zum Zentralmark;