
Diese merkwürdige Me tamorphose der Amp hibien ist
für die Stammesgeschichte des Menschen höchst lehrreich und gewinnt
dadurch besonderes Interesse, daß die verschiedenen Gruppen
der heute noch lebenden Amphibien auf verschiedenen Stufen der
Stammesgeschichte stehen geblieben sind, - entsprechend dem Biogenetischen
Grundgesetze. Da treffen wir zuerst eine tief stehende
niederste Amphibienordnung, die Ki emenlu r che (Sozobranchia),
welche ihre Kiemen während des ganzen Lebens behalten, wie die
Fische. Hierher gehört unter anderen der bekannte blinde Kiemenmolch
der Adelsberger Grotte (Proteus anguineus), fertier der
Armmolch von Südcarolina (Siren lacertina) und der Axolotl aus
Mexiko (,Siredon pisciformis). Alle diese Kiemenmolche sind
fischähnliche, langgeschwänzte Tiere und bleiben in Bezug auf
die Atmungs- und Kreislaufsorgane auf derselben Stufe zeitlebens
stehen, welche die Dipneusten einnehmen. Sie haben gleichzeitig
Kiemen und Lungen, und können je nach Bedürfnis entweder
Wasser durch Kiemen oder Luft durch Lungen atmen. Bei einer
zweiten Ordnung, bei den Salamandern, gehen die Kiemen
während der Verwandlung verloren, und sie atmen als erwachsene
Tiere bloß Luft durch Lungen. Die Ordnung führt den Namen
Schwanz lu r che (■Sozura), weil sie den langen Schwanz zeitlebens
behalten. Dahin gehören die gemeinen Wassermolche {Triton),
die unsere Teiche im Sommer massenhaft bevölkern, und die
schwarzen gelbgefleckten Erdmolche oder Erdsalamänder (Sala-
mandra), die in unseren feuchten Wäldern leben. Diese letzteren
gehören zu den merkwürdigsten einheimischen Tieren, da sie sich
durch viele anatomische Eigentümlichkeiten als uralte und hochkonservative
Wirbeltiere ausweisen94). Einige Schwanzlurche
haben noch die Kiemenspalte an der Seite des Halses behalten,
obwohl sie die Kiemen selbst verloren haben (Menopoma;). Wenn
man die Larven unserer Salamander (Fig. 315) und Tritonen zwingt,
im Wasser zu bleiben und sie gar nicht ans Land läßt, kann man
sie dadurch unter günstigen Umständen Veranlassen, ihre Kiemen
beizubehalten. Dann werden sie in diesem fischähnlichen Zustande
geschlechtsreif und bleiben gezwungen auf der niederen Entwickelungsstufe
der Kiemenlurche zeitlebens stehen.
Das umgekehrte Experiment leistet ein mexikanischer Kiemenmolch,
der fischförmige Axolotl {Siredon pisciformis). Früher hielt
i man denselben für einen permanenten Kiemenlurch, der in diesem
fischähnlichen Zustande zeitlebens verharrt. Unter Hunderten dieser
Tiere aber, welche im Pariser Pflanzengarten gehalten wurden,
gingen einige Individuen aus unbekannten Gründen an das Land,
verloren ihre Kiemen und verwandelten sich in eine dem Salamander
sehr nahestehende Form (.Amblystoma). Andere Arten der Gattung
werden erst in diesem Zustande geschlechtsreif95). Man hat diese
Erscheinung als ein ganz besonderes Wunder angestaunt, obwohl
jeder gemeine Frosch und Salamander uns in jedem Frühjahr
dieselbe Verwandlung vor Augen führt. Die ganze wichtige
Metamorphose, die von dem wasserbewohnenden und kiemenatmenden
Tiere zu dem landbewohnenden und lungenatmenden
Tiere führt, ist hier ebenfalls Schritt für Schritt zu verfolgen. Was
aber hier am Individuum während der Keimesgeschichte geschieht,
das ist ebenso im Verlaufe der Stammesgeschichte an der ganzen
Klasse vor sich gegangen.
Noch weiter als bei den Salamandern geht die Metamorphose
bei der/"dritten Amphibien-Ordnung, bei den Fros chlur chen
{Batrachia oder Anura). Dahin gehören alle die verschiedenen
Arten der Kröten, Unken, Wasserfrösche, Laubfrösche u. s. w.
Diese verlieren während ihrer Umwandlung nicht allein die Kiemen,
sondern auch den Ruderschwanz; bald früher, bald später fällt
derselbe ab. Uebrigens verhalten sich die verschiedenen Arten
in dieser Beziehung ziemlich verschieden. Bei den meisten Froschlurchen
werfen die Larven den Schwanz schon früh ab, so daß
die ungeschwänzte Froschform nachher noch beträchtlich wächst.
Andere hingegen, wie namentlich der brasilianische Trugfrosch
(Pseudes paradoxus), aber auch unsere einheimische Knoblauchkröte
{Pelobates fuscus), verharren sehr lange in der Fischform und
behalten einen ansehnlichen Schwanz fast bis zur Erreichung ihrer
vollständigen Größe; sie erscheinen daher nach vollbrachter Verwandlung
viel kleiner als vorher. Das andere Extrem zeigen einige
in neuester Zeit bekannt gewordene Frösche, welche ihre ganze
historische Metamorphose eingebüßt haben, und bei welchen aus dem
Ei nicht die geschwänzte kiementragende Larve, sondern der fertige,
schwanzlose und kiemenlose Frosch ausschlüpft. Diese Frösche sind
Bewohner isolierter ozeanischer Inseln, welche ein trockenes Klima
besitzen und oft lange Zeit hindurch des süßen Wassers entbehren.
Da dieses letztere für die kiemenatmenden Kaulquappen unentbehrlich
ist, haben sich die Frösche jenem örtlichen Mangel angepaßt
und ihre ursprüngliche Metamorphose ganz aufgegeben (so z. B.
der Laubfrosch von Martinique, Hylodes martinicensis)96).
Der ontogenetische Verlust der Kiemen und des Schwanzes
bei den Fröschen und Kröten kann phylogenetisch natürlich nur
H a e ck e l, Anthropogenie. 5. Aufl. 4°