
dahin gedeutet werden, daß dieselben von langschwänzigen salamanderartigen
Amphibien abstammen. Das geht auch aus der
vergleichenden Anatomie beider Gruppen unzweifelhaft hervor.
Jene merkwürdige Verwandlung ist aber auch außerdem deshalb
von allgemeinem Interesse, weil sie ein bestimmtes Licht auf die
Phylogenie der schwanzlosen Affen und des Menschen wirft. Auch
die Vorfahren der letzteren waren langschwänzige und kiemenatmende
Tiere gleich den Kiemenlurchen, wie der Schwanz und
die Kiemenbogen des menschlichen Embryo unwiderleglich dartun.
Unzweifelhaft hat die Amphibienklasse während des paläozoischen
Zeitalters (und zwar schon während der Steinkohlen-
Periode) eine Reihe von Formen enthalten, welche als direkte Vorfahren
der Säugetiere, und also auch des Menschen zu betrachten
Fig. 317. Fossiler Panzerlurch aus der böhmischen Steinkohle [Seeleya).
Nach F ritsch . Links ist der Schuppenpanzer erhalten.
sind. Diese unsere Amphibien-Ahnen dürfen wir aber aus vergleichend
anatomischen und ontogenetischenr Gründen nicht — wie
man vielleicht erwarten könnte tg- unter den schwanzlosen Froschlurchen,
sondern nur unter den geschwänzten niederen Amphibien
suchen. Mit Sicherheit dürfen wir hier mindestens zwei ausgestorbene
Lurchgruppen als direkte Vorfahren des Menschen betrachten:
erstens die kiemenatmenden Stegocephalen (Fig. 317),
und zweitens lungenatmende Panzerlurche,_ welche die Kiemen
verloren hatten. Unter den lebenden Na ck t lu r chen (Liss-
amphibia) sind noch heute die älteren Kiemenlurche (Perenni-
branchia) zeitlebens mit äußeren Kiemen versehen, während die
jüngeren Salamander (Urodela) sie nur als Larven in der Jugend
besitzen. Diejenigen kiemenlosen Amphibien-Ahnen der Amnioten,
welche wir als die phylogenetisch jüngsten Glieder der Lurchklasse
anzusehen haben, werden noch mit Schuppen bedeckt,
sonst aber gewöhnlichen Salamandern sehr ähnlich gewesen sein.
Ist doch sogar im Jahre 1725 das versteinerte Skelett eines
ausgestorbenen Salamanders (der dem heutigen Riesensalamander
von Japan nahestand) von dem Schweizer Naturforscher Scheuchzer
als Skelett eines versteinerten Menschen aus der Sündflutzeit beschrieben
worden! {„Homo diluvii testis“ 97).] -
Als diejenige Wirbeltierform, die in unserer Ahnenreihe nun
zunächst an diese Amphibien-Ahnen sich anschließt, haben wir jetzt
ein eidechsenähnliches Tier zu betrachten, auf dessen frühere
Existenz wir mit der größten Sicherheit aus den bekannten Tatsachen
der vergleichenden Anatomie und Ontogenie schließen
können. Die lebende Hätteria von Neuseeland (Fig. 318) und die
ausgestorbenen Rhynchocephalen der permischen Periode (Fig. 3^9)
sind dieser wichtigen Stammform nächstverwandt; wir wollen sie
einstweilen Protaminon oder : 'Uramnioten nennen. Alle
Wirbeltiere nämlich, die über den Amphibien stehen — die drei
Klassen, der Reptilien, Vögel und Säugetiere — unterscheiden sich
in ihrer gesamten Organisation so wesentlich von allen bisher
betrachteten niederen Wirbeltieren und stimmen hingegen unter
sich so sehr überein, daß wir sie alle in einer einzigen Gruppe
unter der Bezeichnung der Amn iont i e r e (Amniota) zusammenfassen.
Bei diesen drei Tierklassen allein kommt die Ihnen bereits
bekannte merkwürdige embryonale Umhüllung zu stände, welche
wir als'Amnion o d e r Fruchthaut bezeichnen, eine cenogenetische
Anpassung, welche als Folge des Einsinkens des wachsenden
Embryo in den Dottersack anzusehen ist98). (Vergl. S. 330, 409.)
Sämtliche uns bekannte Amniontiere, alle Reptilien, Vögel
und Säugetiere (mit Inbegriff des Menschen) stimmen in so vielen
wichtigen Beziehungen ihrer inneren Organisation und Entwickelung
überein, daß ihre gemeinsame Abstammung von einer einzigen
Stammform mit ziemlicher Sicherheit behauptet werden kann.
Wenn irgendwo die Zeugnisse der vergleichenden Anatomie und
Ontogenie ganz unverdächtig sind, so ist es gewiß hier der Fall,
Denn alle die einzelnen Merkwürdigkeiten und Eigenheiten, welche
in Begleitung und im Gefolge der Amnionbildung auftreten, und
welche Sie aus der embryonalen Entwickelung des Menschen jetzt
bereits kennen, ferner zahlreiche Eigentümlichkeiten in der Entwickelungsgeschichte
der Organe, die wir später noch im einzelnen
verfolgen werden, endlich die wichtigsten speziellen Einrichtungen
im inneren Körperbau aller entwickelten Amnioten — bezeugen
mit solcher Klarheit den geme insamen Ur sprung a l l e r
Amn iont i e r e von einer e inz igen ausge s torbenen
Stammform, daß wir uns schwerlich einen polyphyletischen
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