
getrennt. Wenn wir aber ihre ausgestorbenen Vorfahren in der
Tertiärzeit in Betracht ziehen und vergleichen, so verwischen sich
die Unterschiede der vier Legionen immer mehr, je weiter wir in
die Tiefen der cänozoischen Ablagerungen hinabsteigen; und zuletzt
finden wir, daß sie sich bis zur Berührung nähern. Die uralten
Stammformen der Nagetiere (Esthonychida), der Huftiere (Condyl-
arthra), der Raubtiere (Ictopsida) und der Herrentiere (Lemur-
avida) erscheinen im Beginne der Tertiärzeit so nahe verwandt, daß
man sie als verschiedene Familien einer Ordnung zusammenstellen
könnte, der Ur z o t t ent i e r e {Mallotheria oder Prochoriata).
Dié große Mehrzahl der Placentalien steht demnach zum
Menschen in keinen näheren und direkten Verwandtschaftsbeziehungen,
sondern allein die eine Legion der He r r ent ie r e
[Primates). Dieselbe wird jetzt gewöhnlich in drei Ordnungen
Fig. 328. Schädel eines fossilen Halbaffen (Adapü parüiensü) aus dem
Miocän von Quercy. A Seitenansicht von rechts, in halber nat. Größe. B Unterkiefer.
C Unterer Ttg-Wn^hn. / Schneidezähne, e Eckzähne. £ Lückenzähne, m Mahlzähne.
geteilt, die Halbaffen (Prosimiae), die Affen (Simiae) und die
Menschen (Anthropi). Die Halbaffen bilden die Stammgruppe,
die wir aus alten Mallotherien der Kreideperiode ableiten. Aus
ihnen sind erst in der Tertiärperiode die Affen hervorgegangen,
und aus diesen gegen Ende derselben der Mensch.
Die Ha lba f fen oder Lemuren (Prosimiae) sind in der
Gegenwart nur noch durch wenige Formen vertreten. Diese
bieten aber ein hohes Interesse dar und sind als die letzten überlebenden
Reste einer vormals formenreichen Gruppe zu betrachten.
Zahlreiche versteinerte Reste derselben finden sich schon im älteren
Tertiärgebirge von Europa und Nordamerika, im Eocän und Miocän.
Wir unterscheiden als zwei verschiedene Unterordnungen die
fossilen Al t l emur en (Lemur avida) und die modernen Ne u lemuren
(Lemurogona). Die ältesten und primitivsten Formen
der Lemuraviden sind die Pachylemuren (Hyopsodina) ; sie schließen
sich unmittelbar an die ältesten Placentaltiere (Prochoriata) an
und haben noch deren volles typi s che s Gebiß, mit 44 Zähnen
4- 3-^ Die Nekrolemuren (Adapida) hingegen (Fig. 328) besitzen
4nur noch 40 Zähne und haben einen Schneidezahn in jeder
Kieferhälfte verlöret Q *' Noch weiter reduziert wird das
Gebiß bei den Lemurogonen (Autolemures) , die meistens nur
36 Zähne haben Q ^ ^). Diese gegenwärtig noch lebenden
kümmerlichen Ueberreste sind weit über den südlichen Teil der
alten Welt zerstreut. Die meisten Arten leben auf Madagascar,
einige auf den Sunda-Inseln, andere auf dem Festlande von Asien
und Afrika. Es sind nächtliche Tiere von melancholischem Temperament;
sie führen eine stille Lebensweise, kletternd auf Bäumen,
und nähren sich von Früchten und Insekten. Diese Epigonen
sind sehr verschieden. Einige erscheinen nahe verwandt den
Beuteltieren (besonders den Beutelratten). Andere (Macrotarsi)
stehen den Insektenfressern, noch andere (Chiromys) den Nagetieren
nahe. Einige Halbaffen endlich (Brachytarsi) schließen sich eng
an die echten Affen an. Die zahreichen Reste von fossilen Halbaffen
und Affen, die neuerdings in den Ablagerungen der Tertiärzeit
gefunden worden sind, berechtigen uns zu der Annahme, daß
die Ahnenreihe des Menschen während dieses langen Zeitraums
durch viele verschiedene Arten vertreten war. Wir können die
älteren von diesen Primaten-Ahnen auf zwei Gruppen von Pro-
simien verteilen: Lemuraviden der alteocänen Periode (24. Stufe)
und Lemurogonen der neueren Tertiärzeit (25. Stufe). Unter diesen
erreichten einige fast die Größe des Menschen, so der diluviale
Lemurogone Megaladapis von Madagaskar.
An die Halbaffen schließen sich unmittelbar als se chsundzwanz
ig s t e Ahnen stufe des Menschengeschlechts die echten
A f f e n (Simiae) an. Es unterliegt schon seit langer Zeit nicht
dem geringsten Zweifel mehr, daß unter allen Tieren die Af f e n
diejenigen sind, welche dem Menschen in jeder Beziehung am
nächsten stehen. Wie sich einerseits die niedersten Affen eng an
die Halbaffen, so schließen sich anderseits die höchsten Affen
unmittelbar an den Menschen an. Wir können sogar, wenn wii
die vergleichende Anatomie der Affen und des Menschen sorgfältig
durchgehen, einen stufenweisen und ununterbrochenen Fortschritt
in der Affen-Organisation bis zur rein menschlichen Bildung
hin verfolgen, und wir gelangen dann bei unbefangener Prüfung
dieser in neuester Zeit mit so leidenschaftlichem Interesse behandelten
„Af f en f r a g e “ unfehlbar zu dem wichtigen, zuerst