
7^2 Entwickelung des Gehör-Labyrinthes. X X V .
(c, d, e). Die kleinere Gehörblase heißt Gehö r s ä ckchen
(.Sacculus) und steht mit einem eigentümlichen Anhang in Verbindung,
der sich beim Menschen und den höheren Säugetieren
durch seine spiralige, einem Schneckenhause ähnliche Gestalt auszeichnet
und daher S ch ne c k e (Cochlea) genannt wird (b). Auf
der dünnen Wand dieses zarthäutigen Labyrinthes breitet sich in
höchst verwickelter Weise; der Gehörnerv aus, der vom Nachhirn
an die Gehörblasen herantritt. Er spaltet sich in zwei Hauptäste,
einen Schneckennerven (für die Schnecke) und einen Vorhofsnerven
(für die übrigen Teile des Labyrinthes). Der erstere scheint mehr
die Qualität, der letztere die Quantität der Schallempfindungen zu
vermitteln. Durch den Schneckennerven erfahren wir, von welcher
Höhe und Klangfarbe, durch den Vorhofsnerven, von welcher
Stärke die Töne sind.
Fig. 384. Fig. 385.
Fig. 384. Das knöcherne Labyrinth des menschlichen Gehörorgans
(der linken Seite), a Vorhof, 5 Schneckepc oberer Bogengang, d hinterer Bogengang,
e äußerer Bogengang, f ovales Fenster, g rundes Fenster. Nach Meyer.
Fig. 385. Entwickelung des Gehörlabyrinthes vom Hühnchen, in fünf
aufeinander folgenden Stufen (A— E ). (Senkrechte Querschnitte der Schädelanlage.)
f l Gehörgrübchen,’ Iv Gehörbläschen, Ir Labyrinthanhang, c Anlage der Schnecke,.
esp hinterer Bogengang, ese äußerer Bogengang, jv Jugularvene. Nach Reissner.
Die erste Anlage dieses höchst verwickelt gebauten Gehörorgans
ist ebenso beim Embryo des Menschen, wie aller anderen
Schädeltiere, höchst einfach, nämlich eine grubenförmige Vertiefung
der äußeren Oberhaut. Hinten am Kopfe entsteht jederseits neben
dem Nachhirn, am -oberen Ende der zweiten Kiemenspalte, eine
schwielenartige kleine Verdickung der Hornplatte (Fig. 385 A f l ;
387 g). Diese vertieft sich zu einem Grübchen und schnürt sich
von der äußeren Oberhaut ab, gerade so wie die Linse des Auges
(vergl. S. 745). So entsteht demnach unmittelbar unter der Hornplatte
des Hinterkopfes jederseits ein kleines, mit Flüssigkeit gefülltes
Bläschen, das pr imi t ive Ohrblä s chen oder Gehörbläschen,
oder das „primäre Labyrinth“ (Taf. VIII XIII 0). Indem
sich dasselbe von seiner LTrsprungsplatte, der Hornplatte, ablöst,
und nach innen und unten in den Schädel hineinwächst, geht seine
rundliche Gestalt in eine birnförmige über (Fig. 385 B lv; 388 0).
Der äußere Teil desselben nämlich verlängert sich in einen dünnen
Stiel, der anfänglich noch durch einen engen Kanal nach außen
mündet (vergl. Fig. 210 ƒ, S. 399); Das ist der sogenannte L a b y r
inthanhang (Recessus labyrinthi, Fig. 385 7z|| Bei niederen
Wirbeltieren entwickelt sich derselbe zu einem besonderen, mit
Kalkkristallen erfüllten Hohlraum, der bei einigen Urfischen sogar
zeitlebens offen bleibt, und oben auf dem Schädel nach außen
mündet (.Ductus endolymphaticus). Bei den Säugetieren hingegen
Fig. 386. Fig- 387- Fig. 388.
F is 386^387. Kopf eines Hühnerembryo, vom dritten Briitetage; 386 von
vom 387 von der rechten Seite, n Nasenanlage (Geruchsgrübchen), l Augenanlage
(Gesichtsgrübchen), g .Ohranlage (Gehörgrübchen), v Vorderhim, g l A-ngraspalte, o Ober-
Meferfortsatz, «.Unterkieferfortsatz des-ersten Kiemenbogens. Nach K o lliker.
Fig 388 Urschädel des menschlichen Embryo von vier Wochen, senkrecht
durchschnitten und die linke Hälfte von innen her betrachtet ®, z, m h « die-
fünf Gruben der Schädelhöhle, in denen die fünf Himblasen liegen (Vorderhim,
Zwischenhirn, Mittelhim, Hinterhim und Nachhim), o bimförmiges primäres Gehor-
bläschen (durchschimmemd), a Auge (durchschimmernd), no Sehnerv, p Kanal der
Hypophysis, t mittlerer Schädelbalken. Nach K olliker.
verkümmert der Labyrinthanhang. Er ist hier bloß von phylogenetischem
Interesse, als ein rudimentäres Organ, welches jetzt
keine physiologische Bedeutung mehr besitzt. Der unnütze Rest
desselben durchzieht als ein enger Kanal die Knochenwand des
Felsenbeines und führt den Namen der „Wasserleitung des Vorhofs“
(Aquaeductus vestibuli).
Nur der innere und der untere, blasenförmig erweiterte Teil
des abgeschnürten Gehörbläschens entwickelt sich zu der höchst
komplizierten und differenzierten Bildung, welche man später unter
dem Namen des „sekundären Labyrinthes“ zusammenfaßt Dieses
Bläschen sondert sich schon frühzeitig in einen oberen größeren
und unteren kleineren Abschnitt. Aus dem ersteren entsteht der
Haeckel, Anlhropogcnie. 5. Aufl. . 4 $