
entwickelten sich einerseits im Südosten die russischen und süd-
slavischen Mundarten, anderseits im Westen die polnischen und
czechischen Mundarten. ■
Werfen wir anderseits noch einen Blick auf die Verzweigung
des anderen Hauptstammes der indogermanischen Sprachen, auf
den arioromanischen Urstamm, so treffen wir eine nicht minder
reiche Verzweigung seiner beiden Hauptäste an. Die gräkoroma-
nische Ursprache spaltete sich einerseits in die thrakische Grundsprache
(albanesisch - griechisch), anderseits in die italokeltische
Grundsprache. Aus der letzteren haben sich abermals zwei divergierende
Zweige hervorgebildet, im Süden der italische Sprachzweig
(romanisch und lateinisch), im Norden der keltische Sprachzweig,
aus welchem alle die verschiedenen britannischen (altbritischen,
altschottischen, irischen) und gallischen Mundarten hervorgingen.
Ebenso entstanden aus wiederholter Verzweigung der arischen
Ursprache'alle die zahlreichen iranischen und indischen Mundarten.
— Eie nähere Verfolgung dieses Stammbaumes der indogermanischen
Sprachen ist in vieler Beziehung vom höchsten Interesse..
Die v e r g l e i ch end e Spr a chfo r s chung , der wir die Erkenntnis
desselben verdanken, bewährt sich dabei als eine echte
Wissenschaft, als eine Na turwi s s ens cha f t ! Ja, sic hat die
ph y lo g ene t i s che Methode, mit der wir jetzt im Gebiete der
Zoologie und Botanik die größten Erfolge erzielen, auf ihrem
Gebiete schon längst antezipiert. Ich kann hierbei die Bemerkung
nicht unterdrücken, wie viel besser es um unsere allgemeine Bildung
stehen würde, wenn in unseren Schulen die Sprachforschung (sicher
eines der wichtigsten Bildungsmittel!) v e r g l e i ch end betrieben
würde, wenn an die Stelle unserer toten und trockenen Philologie
die lebendige und vielseitig anregende „vergleichende Sprachlehre“
treten würde. Diese letztere verhält sich zur ersteren ganz ebenso,
wie die lebendige Entwickelungsgeschichte der Organismen zur
toten Systematik der Arten. Wie viel mehr Interesse am Sprachstudium
würden die Schüler in unseren Gymnasien gewinnen und.
wie viele lebendige Anschauungen nebenbei ernten,1 wenn, sie nur
die ersten Elemente der vergleichenden Sprachforschung lernten,
statt mit der abschreckenden Komposition lateinischer Aufsätze in
cicerbnianischem Stile geplagt zu werden!
Ich bin hier deshalb etwas näher auf die ^vergleichende Anatomie“
und Entwickelungsgeschichte der Sprachen eingegangen,
weil sie in -ganz vorzüglicher Weise die Phylogenie der organischen
Species erläutert. Wie Sie sehen, entsprechen nach
Zweiundzwanzigste Tabelle.
Stammbaum der indogermanischen Sprachen.
Litauer Altpreußen
Letten
Baltiker
Angelsachsen Hochdeutsche
Plattdeutsche
Niederländer
Altsachsen
Serben
Polen . Niederdeutsche
Czechen 1
1 Skandinavier
1 Goten Deutsche
Westslaven
Russen
Südslaven I
Südostslaven
Slaven
Slavoletten
Sachsen
Urgermanen
Altbritten
Altschotten
Irländer
Romanen
Lateiner
Gallier
Galen
Italer Kelten
Slavogermanen
Albanesen
Italokelten
Griechen
Urthracier
Inder Iraner
Arier Gräkoromanen
Arioromanen
Indogermanen