
fundamentalsten die Stellung des Menschen in der Klasse der
S äu g e t i e r e {Mammalia). Wie verschieden auch im einzelnen
die Zoologen seit langer Zeit die Stellung des Menschen innerhalb
dieser Klasse beurteilen, und wie verschieden namentlich auch die
Auffassung seiner Beziehungen zu der nächstverwandten Gruppe
der Affen erscheinen mag, so ist doch niemals ein Naturforscher
darüber im Zweifel gewesen, daß der Mensch seiner ganzen
körperlichen Organisation und Entwickelung nach ein echtes
Säugetier sei. Dieser fundamentalen Tatsache hat Linné schon
1735 in der ersten Auflage seines berühmten Systema naturae
Ausdruck gegeben. Wie Sie sich in jedem anatomischen Museum
und in jedem Handbuche der vergleichenden Anatomie überzeugen
können, besitzt der Körperbau des Menschen alle diejenigen
Eigentümlichkeiten, in denen alle Säugetiere übereinstimmen, und
durch welche sie sich von allen übrigen Tieren auffallend und
bestimmt unterscheiden.
Wenn wir nun diese feststehende anatomische Tatsache im
Lichte der Descendenztheorie phylogenetisch deuten, so ergibt
sich für uns daraus unmittelbar die Folgerung, daß der Mensch
mit allen übrigen Säugetieren eines gemeinsamen Stammes ist und
von einer und derselben Wurzel mit ihnen abstammt. Die vielerlei
Eigentümlichkeiten, in denen sämtliche Säugetiere übereinstimmen,
und durch die sie sich vor allen' anderen Tieren auszeichnen, sind
aber derart, daß gerade hier eine polyphyletische Hypothese
ganz unzulässig erscheint. Unmöglich können wir uns vorstellen,
daß die sämtlichen lebenden und ausgestorbenen Säugetiere von
mehreren verschiedenen und ursprünglich getrennten Wurzelformen
abstammen. Vielmehr müssen wir, wenn wir überhaupt die Entwickelungstheorie
anerkennen, die monophyletische Hypothese
aufstellen, daß a l l é S äu g e t i e r e mi t In b e g r i f f des Menschen
von einer einz igen S äug e t ie r -Stammfo rm ab-
zulei ten sind. Wir wollen diese längst- ausgestorbene uralte
Wurzelform und ihre nächsten (nur etwa als mehrfache Gattungen
einer Familie verschiedenen) Descendenten als Ur s äu g e r oder
Stammsäug e r {Promammalia) bezeichnen. Wie wir bereits
gesehen haben, entwickelte sich diese Wurzelform aus dem uralten
Proreptilienstamm in einer ganz anderen Richtung, als die Klasse
der Vögel, und trennte sich schon frühzeitig vom Hauptstamme der
Reptilien. Die Unterschiede, welche die Säugetiere einerseits, die
Reptilien und Vögel anderseits auszeichnen, sind so bedeutend und
charakteristisch, daß wir mit voller Sicherheit eine solche einfache
Gabelspaltung des Wirbeltier-Stammbaumes im Beginne der
Amnioten-Entwickelung annehmen dürfen. Die Reptilien und
Vögel, welche wir als Sauropsiden zusammenfassen, stimmen
namentlich ganz überein in der charakteristischen Bildung des
S chäde l s und des Gehi rns , die von derjenigen der Säugetiere
sich auffallend unterscheidet. Der Schädel ist bei den meisten
Reptilien und allen Vögeln durch einen einfachen, bei den Säugetieren
hingegen (wie bei den Amphibien) durch einen doppelten
Gelenkhöcker {Condylus) des Hinterhauptes mit dem ersten Halswirbel
(dem Atlas) verbunden. Bei den ersteren ist der Unterkiefer
aus vielen Stücken zusammengesetzt und mit dem Schädel durch
einen besonderen Kieferstiel (das Quadratbein) beweglich verbunden,
bei den letzteren hingegen besteht der Unterkiefer nur aus einem
Paar Knochenstücken, die unmittelbar an dem Schläfenbein eingelenkt
sind. Ferner ist bei den Sauropsiden (Reptilien und Vögeln)
die Haüt mit Schuppen oder Federn, bei den Säugetieren mit
Haaren bedeckt. Die roten Blutzellen der ersteren besitzen einen
Kern, die der letzteren dagegen nicht. Zwei ganz charakteristische
Eigenschaften der Säugetiere endlich, durch welche sie sich sowohl
von den Vögeln und Reptilien, wie von allen -anderen Tieren
unterscheiden, sind erstens der Besitz eines vollständigen Zwe r c h fe
l l e s und zweitens dér Besitz der Mi l chdrüsen, welche die
Ernährung des neugeborenen Jungen durch die Milch der Mutter
vermitteln. Nur bei den Säugetieren bildet das Zwerchfell eine
quere Scheidewand der Leibeshöhle, welche Brusthöhle und Bauchhöhle
vo l l s t änd ig voneinander trennt. (Vergl. S. 346, Taf. VII,
Fig. 16 z.) Nur bei den Säugetieren säugt die Mutter ihr Junges
mit ihrer Milch, und mit vollem Rechte trägt die ganze Klasse
davon ihren Namen.
Aus diesen bedeutungsvollen Tatsachen' der vergleichenden
Anatomie und Ontogenie geht mit voller Sicherheit hervor, daß
sämtliche Säugetiere Glieder eines einzigen natürlichen Stammes
sind, der sich schon sehr frühzeitig von der Reptilienwurzel abgezweigt
hat. Aus diesen Tatsachen ergibt sich ferner mit derselben
unzweifelhaften Sicherheit, daß auch das Menschengeschlecht
ein Zweig jenes Stammes ist. Denn alle die angeführten Eigentümlichkeiten
teilt der Mensch mit allen Säugetieren und unterscheidet
sich dadurch von allen übrigen Tieren. Aus diesen Tatsachen
ergeben sich uns endlich auch mit derselben Sicherheit diejenigen
Fortschritte in der Wirbeltier - Organisation, durch welche sich
ein Zweig der Sauromammalien in die Stammform der Säugetiere