
seine Gestalt wechselt und fingerartige Fortsätze tastend bald da,
bald dorthin ausstreckt. Gleich den ersteren nehmen auch die
letzteren geformte Körperchen in das Innere ihres Zellenleibes auf.
Wegen dieser letzteren Fähigkeit nennt man solche amoeboide
Plastiden „Freßzellen“ (Phagocyten), und wegen jener ersteren
„Wanderzellen (Planocyten). Durch die wichtigen Entdeckungen
der letzten Jahrzehnte hat sich herausgestellt, daß diese Leukocyten
von der größten physiologischen und pathologischen Bedeutung
für den Organismus sind. Sie können aus der Darmwand sowohl
geformte als gelöste Bestandteile aufnehmen und dem Blute im
Chylus zuführen; sie können unbrauchbare Stoffe aus den Geweben
aufnehmen und entfernen. Indem sie massenhaft durch feine Poren
der Kapillargefäße auswandern und sich an gereizten Körperstellen
anhäufen, erzeugen sie Entzündung. Sie können Bakterien, die
H Fig-443- Fressende Lymphzellen aus dem Blute einer Seeschnecke
(Thetis). (Veigl. S. 134.) Jede einzelne farblose Blutzelle kann narbeinanrW die
acnt verschiedenen, in Fig. a— h dargestellten Formen annehmen.
gefürchteten Träger der Infektionskrankheiten, fressen und ver-
tilgen, sie können aber auch solche verderblichen Moneren weiter
transportieren und neue Infektionsherde im Organismus erzeugen.
Es ist wahrscheinlich, daß die empfindlichen und wanderlustigen
Leukocyten unserer wirbellosen Ahnen schon seit Millionen von
Jahren an der Phylogenesis der fortschreitenden tierischen Organisation
in hervorragender Weise mitgewirkt haben.
Die Ro t z e l l en oder „roten Blutzellen“ (Rhodocyten oder
Erythrocyten) haben eine viel beschränktere Verbreitung und Tätigkeit
als jene „Allerweltszellen“, die Leukocyten. Sie sind aber für
bestimmte Funktionen des Cranioten-Organismus auch von hervorragender
Bedeutung, vor allem für den Ga swe chs e l oder die
Atmung. Die Blutzellen des dunkelroten, karbonischen oder
venösen Blutes, welche Kohlensäure aus den tierischen Geweben
gesammelt haben, geben diese in den Atmungsorganen ab; sie
nehmen dafür frischen Sauerstoff auf und bewirken dadurch die
hellrote Farbe, welche das oxydische oder arterielle Blut auszeichnet.
Der rote Blutfarbstoff {Haemoglobin), der Träger des Farben-
und Gaswechsels, ist in Lücken ihres Protoplasma gleichmäßig
verteilt. Die Rotzellen der meisten Wirbeltiere sind elliptische
flache Scheiben und schließen einen Kern von gleicher Gestalt
ein j j ihre Größe ist sehr verschieden (Fig. 444). Die Säugetiere
zeichnen sich vor den übrigen Wirbeltieren durch die kreisrunde
Gestalt ihrer bikonkaven Rotzellen aus, sowie durch den
Mangel des Kerns (Fig. 1); nur einzelne Gattungen (z. B. die
Kamele) haben die elliptische, von den Reptilien geerbte Form
Fig. 4 4 4 . Fig- 445-
Fig. 4 4 4 . Rote Blutzellen von verschiedenen Wirbeltieren (bei gleicher
Vergrößerung). r vom Menschen, 2. Kamel, 3. Taube, 4 . Proteus, J. Wassersalamander
(Triton), 6. Frosch, 7. Schmerle (Cobitis), 8. Neunauge (Petromyzon).
a Flächenansicht, t Randansicht. Nach Wagner.
Fig. 445. Gefäßgewebe oder Endothelium (Vasalium.). Ein Haargefäß
aus dem Gekröse, a Gefäßzellen, b deren Kerne.
beibehalten (Fig. 2). In den Embryonen der Säugetiere besitzen
die roten Blutzellen noch den Kern und die Fähigkeit, sich durch
Teilung zu vermehren (Fig. 10, S, 120).
D e r Ur sprung der Blut z e l len und der Gefäße im
Embryo sowie ihre Beziehung zu den Keimblättern und Geweben
ist eine der schwierigsten Fragen der Ontogenie, eine von jenen
dunklen Fragen, über welche auch heute noch von den kompetentesten
Forschem die verschiedensten Ansichten vertreten werden.
Im allgemeinen steht zwar fest, daß der größte Teil der Zellen,
welche die Gefäße und deren Inhalt zusammensetzen, aus dem