
auch B e u t e l k i eme r (Marsipobranchia) genannt Besonders
hervorzuheben ist noch der Mangel eines sehr wichtigen Organs,
welchem wir bei den Fischen begegnen, nämlich der Schwimmblase,
aus welcher sich bei den höheren Wirbeltieren die Lunge
entwickelt hat.
Wie demnach die Cyclostomen in ihrem gesamten anatomischen
Körperbau vielerlei Eigentümlichkeiten darbieten, so
auch in der Keimesgeschichte. Eigentümlich ist schon ihre ungleichmäßige
Eifurchung, welche sich am nächsten an diejenige
der Amphibien anschließt (Fig. 51; 52, S. 200). Daraus geht eine
Haubengastrula hervor, wie bei den Amphibien (Taf. II, Fig. 1 x).
Aus dieser entsteht eine sehr einfach organisierte Larvenform,
welche sich ganz nahe an den Amphioxus anschließt, und welche
wir deshalb schon früher betrachtet , und mit letzterem verglichen
haben (S. 456 und Taf. XIX, Fig. 16). Die stufenweise Keimesentwickelung
dieser Cyclostomenlarve erläutert'uns sehr klar und
einleuchtend die allmähliche Stammesentwickelung der Schädeltiere
aus den Schädellosen. Später geht aus dieser einfachen
Petromyzonlarve eine blinde und zahnlose Larvenform hervor,
welche von der erwachsenen Lamprete so sehr verschieden ist,
daß sie bis zum Jahre 1856 allgemein als eine besondere Fischgattung
unter dem Namen Qu er der (Ammocöetes) beschrieben
wurde.. Erst durch eine weitere Metamorphose verwandelt sich
später dieser blinde und zahnlose Ammocoetes in die mit Augen
und Zähnen versehene L a m p r e t e (Petromyzon)91).'
Wenn wir alle diese Eigentümlichkeiten im Körperbau und
in der Keimesgeschichte der Cyclostomen zusammenfassen, so
dürfen wir folgenden Satz aufstellen: Aus den ältesten Schädeltieren
oder Cranioten, welche wir als Ur s ehäd e l t i e r e (Archi-
crania) bezeichnen,' sind zwei divergente Linien hervorgegangen.
Die eine dieser Linien ist uns noch heute in mehrfach verändertem
Zustande erhalten:; das sind die Cyclostomen oder Monorhinen,
eine wenig fortgeschrittene, auf tiefer Stufe stehen gebliebene und
teilweise durch Rückbildung entartete Seitenlinie. Die andere
Linie, die Hauptlinie des Wirbeltierstammes, setzte sich in gerader
Richtung bis zu den Fischen fort und erwarb durch neue Anpassungen
eine Menge wichtiger Vervollkommnungen.
Um die phylogenetische Bedeutung solcher interessanten
Ueberbleibsel uralter Tiergruppen, wie es die Cyclostomen sind,
richtig zu »würdigen, ist es notwendig, ihre mannigfachen Eigentümlichkeiten
mit dem philosophischen Messer der vergleichenden
Anatomie kritisch zu prüfen. Man muß namentlich einerseits
zwischen jenen heredi tären Charakteren wohl unterscheiden,
welche sich durch V e r e r b u n g von gemeinsamen, uralten, ausgestorbenen
Vorfahren; bis auf den heutigen Tag getreu erhalten
haben, und anderseits jenen besonderen adapt-ativen Merkmalen,
welche die heute noch lebenden Ueberbleibsel jener uralten
Gruppe im Laufe der Zeit erst sekundär durch An p a s su n g erworben
haben. Zu diesen letzteren gehören z. B. bei den Cyclostomen
die eigentümliche Bildung der unpaaren Nase und des
runden Saugmaules, sowie besondere Strukturverhältnisse der
äußeren Haut und der beutelförmigen Kiemen. Zu jenen ersteren
Charakteren hingegen, die in phylogenetischer Beziehung allein
Bedeutung besitzen, gehört die primitive Bildung der Chorda und
des Gehirns, die eigentümliche Struktur der Muskeln und Nerven,
der Mangel der Schimmblase, der Kiefer und der Extremitäten
u. s. w. Das sind typische Eigenschaften der ausgestorbenen
Ar ch i c r an i e r , jener ältesten Cyclostomen, die wir als die
gemeinsamen Stammformen aller Schädeltiere auffassen92).
Die Cyclostomen werden im zoologischen Systeme fast allgemein
zu den Fischen gestellt; allein wie falsch dies ist, ergibt
sich einfach aus der Erwägung, daß in allen wichtigen und auszeichnenden
Organisations-Eigentümlichkeiten die Cyclostomen von
den Fischen weiter entfernt sind, als die Fische von den Säugetieren
und vom Menschen. Mit den Fischen beginnt die große
Hauptabteilung der kie fe rmündig en Wi rb e l t i e r e oder der
Paarnasen (Gnathostomen oder Amphirhinen). Wir haben nun
zunächst von den Fi s chen weiterzugehen, als von derjenigen
Wirbeltierklasse, welche nach den Zeugnissen der Paläontologie,
der vergleichenden Anatomie und Ontogenie mit absoluter Sicherheit
als die Stammklasse sämtlicher höheren Wirbeltiere, sämtlicher
Kiefermäuler angesehen werden muß. Selbstverständlich
kann kein einziger der lebenden Fische als direkte Stammform
der höheren Wirbeltiere betrachtet werden. Aber ebenso sicher
dürfen wir alle Wirbeltiere, welche wir von den Fischen bis zum
Menschen hinauf unter dem Namen der Gnathostomen begreifen,
von einer gemeinsamen ausgestorbenen fischartigen Stammform
ableiten. Wenn wir diese uralte Stammform lebendig vor uns
hätten, würden wir sie zweifellos als einen echten Fi s ch bezeichnen
und im System in der Fischklasse unterbringen. Glücklicherweise
ist gerade die. vergleichende Anatomie und Systematik
der Fische jetzt so weit vorgeschritten, daß wir diese fundamentalen