Es folgt nun noch auf Taf. XXXVI in Nr. 18 die Darstellung eines
kindlichen Schädels, zugehörig einem etwa 7jährigen Knaben vom Stamme
der Ama-Zulu mit vollständigem Milchgebiss, welcher die charakteristischen
Eigentümlichkeiten des kindlichen Alters mit dem Racentypus vereinigt und
so eine sehr bizarre Gestalt annimmt. Der Breitenindex desselben beträgt
76, der Höhenindex 80 .8, also ein Plus der Höhe von nahezu 5. Die grösste
Breite liegt in den Scheitelhöckern, nach vorn zu gegen die Stirn verschmälert
sich die Schädelkapsel sehr stark, und wenn man daher die Schläfenbreite
misst anstatt der grössten, so beträgt der Index nicht mehr als für
den Erwachsenen; er ist indessen auch nicht geringer und die von W e l c h e r
gegebene Regel ü , wonach der Schädel zur Zeit der Gehurt den höchsten
Grad seiner relativen Schmalheit haben,' dann aber bis gegen das 20. Jahr
an relativer Breite zunehmen soll, findet für diesen Fall keine Anwendung.
Die für den kindlichen Sehädel charakteristische Kleinheit des Gesichts-
theiles zeigt sich in sehr bemerkenswerther Weise in jeder der vier
Ansichten.
Von vorn gesehen erkennt man die Schmalheit der Kiefer, die geringe
Stärke der Jochbeine, die schwach entwickelten Ränder der runden, geräumigen
Augenhöhlen. Die Aperlura pyriformis hat schon die gewöhnliche
Form. Ueber diesen Gesichtstheil erhebt sich die Schädelkapsel mit geraden,
gegen die Scheitelhöcker divergirenden Seitenrändern, welche eine eckige
Hervorragung bilden. Die relative Mächtigkeit dieser Schädelkapsel sieht
man am besten in der Seitenansicht, wo der Kieferapparat nur wie ein
unbedeutender Anhang erscheint. Die grössere Prognathie (65" Camvkr-
scher Gesichtswinkel), der stumpfe Unterkieferwinkel bezeichnen auch hier
wieder den kindlichen Schädel; die Calvaria seihst ist bemerkenswerth durch
die enorme relative Ausdehnung des Hinterhauptes.
Es ist die Behauptung aufgestellt worden, dass beim Kinde des Negers
das Occiput sich erst allmälig stärker entwickele, und man*es bei jüngeren
Individuen daher relativ schwächer anträfe, als hei Erwachsenen. Die Angabe
stützte sich, so weit mir erinnerlich; auf Beobachtungen an den Schädeln
zweier kindlichen Neger (?), über deren Herkunft weitere Bemerkungen 2)
nicht gemacht wurden. Dieselbe Zahl stand Her ebenfalls zur Verfügung,
d. h. ausser dem in Rede stehenden Zulu-Knaben (vom Verfasser 1865 am
JTmhlanga in Natal ausgegraben) der Schädel eines Negermädchens aus
St. Louis (Berlin, anat. Museum Nr. 13539); beide aber zeigen im
Vergleich mit dem Erwachsenen ein Ueberwiegen des Hinterhauptes in sehr
ausgesprochener Weise (Porus aemticm| | - Glahella und — Protub. occipitalis
im ersten Falle 9 CM. — 11.7 CM., im zweiten 8.3 CM. — 9.1 CM.,
wobei aus den Messungen rechter und linker Seits das Mittel gezogen wurde)!
') Craniolog. Mittheil. Ärch. f. Anthrop. I. pag. 151.'
2) Es gelang mir nicht die betreffende Stelle wieder zu finden und der Autor kann
daher auch nicht genannt werden.
Auch die Beobachtungen am Lebenden ergaben, soweit daraus auf die
Schädelbildung zu schliessen ist, als Regel unter den Nigritiern am Kinde
ein sehr starkes Hervortreten des Hinterhauptes. Da das kurze, dicht
anliegende Haar in solchem Alter* bei den genannten Stämmen die Con-
touren des Kopfes ziemlich rein erkennen lässt, so darf man diesen Beobachtungen
eine gewisse Bedeutung nicht versagen. Das Hervortreten der
Umgebung des Foramen m a gm m , wie im vorliegenden Schädel, muss auch
am Lebenden durch das Abfallen des Nackens die Ausbildung des Hinter-
hauptes in besdiiders günstiges Licht setzen; zugleich beruht auf diesem
Umstand das Auftreten von so beträchtlichen Zahlen für die Höhe.
In der Ansicht von Oben verdeckt die mächtige Schädelkapsel fast
alles Uebrige; neben der schmalen Stirn werden die Jochbrücken nicht mehr
seitlich sichtbar und.nur der Oberkiefer erscheint wegen der ausgebildeten
Prognathie, trotz der relativen Kleinheit vor der Stirn noch in einiger Ausdehnung.
Die Ansicht von hinten zeigt die scharfe Ecke der Scheitelhöcker
als grösste Breite; der Apex sowie die Basiswinkel des Fünfecks sind stark
abgerundet; die Processus mastoidei, welche ganz rudimentär sind, erscheinen
nach oben gerückt und stehen nur in geringer Entfernung von einander,
etwas ausserhalb von den Winkeln des schmalen Unterkiefers : Allescharakteristische
Kennzeichen des kindlichen Schädels.: Bemerkenswerth für die
Race ist in- dieser Proportion hauptsächlich die immer noch beträchtliche
Höhe des Ganzen und die Schmalheit der unteren PartMen.
Von den übrigen Theilen des Skelettes, dessen allgemeiner Charakter
oben bereits besprochen ist, verdienen noch die Gürtelknochen einer besonderen
Erwähnung. Es ist unzweifelhaft, dass die Race auch ihnen einen
besonderen Stempel aufdrückt, doch ist es bisher nicht gelungen, diesen mit
Sicherheit festzustellen und die sanguinische Auslegung, welche manche
Eigenthümlichkeiten einzelner Specimina fanden, führte zu sehr bedenklichen
Annahmen.
Verfasser hat hinreichendes Material unter den Händen, um zu sehen,
wie enorme individuelle Schwankungen Vorkommen, und die Angaben
sind daher als einzelne Daten zu betrachten, aus denen allgemein gültige
Mittelwerthe zu ziehen, zur Zeit noch unthunlich ist. Nur so viel möchte
ich als allgemeines Resultat aus der Betrachtung der Schulter- und besonders
der Beckengürtel folgern, dass, abgesehen von dem bereits erwähnten, für
den uncivilisirten Menschen charakteristischen Bau, welchen diese Knochen
erkennen lassen, auch die normale, t y p i s c h e E n tw i c k e lu n g d e s I n d i v
id u um h i n s i c h t l i c h d e r g e n e r e l l e n U n t e r s c h i e d e n i c h t d en
Grad v o n V o llk om m e n h e it e r r e i c h t , a js u n t e r dem E in f lu s s
der C iv i l i s a t i o n 1!:. Die Vergleichung der beigegebenen Abbildungen
R . H a rtm a n n stimmt in diesem wichtigen Punkte auch hinsichtlich der nordafrikanischen
Stämme mit dem Verfasser vollkommen überein.