Die Stellung der Häuptlinge ist ganz ähnlich wie diejenige bei den
Be-chuana, nur dass die Abtheilung des Volkes, welche den einzelnen
untergeordnet zu sein pflegt, durchschnittlich noch kleiner ist und der
Unterthanenverband noch lockerer als bei diesen. Der persönliche Charakter
giebt zuweilen dem einen oder anderen von ihnen eine grössere
Bedeutung, und es strömen alsdann dem angesehenen Führer mehr Unter-
thanen zu , während ein schwacher und missliebiger Häuptling sie sich verringern
sieht; da die einzelnen Stämme, deren Kopfzahl von einigen Hundert
bis zu ebenso vielen Tausend schwankt, sich nicht als eine abgeschlossene
politische Gemeinschaft betrachten, sondern den Gedanken der. nationalen
Zusammengehörigkeit mit allen übrigen stets fest im Auge halten, so erscheint
das Aufgeben eines Stammes für einen anderen als etwas ganz
Natürliches, was sich bei beliebiger Veranlassung ohne Bedenken vollzieht.
Die Machthaber müssen sich aus diesem Grunde bei den Herero noch
mehr als sonst hüten, die Meinung der Unterthanen gegen sich aufzubringen
und neigen daher weniger zum Despotismus. Dies spricht sich auch aus in der
Handhabung der Gesetze, welche das Herkommen vorschreibt, deren Vollstrecker
sie aber sind. Die Strafen bestehen ausschliesslich in Vermögensstrafen,
indem selbst Hexerei nicht mit dem Tode gestraft wird, und die
oben erwähnten Uebergriffe der Gewalt, um die Feinde zu unterdrücken,
finden daher weniger häufig statt. Unter den Angehörigen des Stammes
selbst ist ebenfalls ein mildes gegenseitiges Verfahren häufiger als ein hartes;
denn obgleich Blutrache herkömmlich ist, wird sie wohl höchst selten vollstreckt,
sondern auch in diesem Falle ist eine gütliche Einigung und Beilegung
des Zwistes durch Erstattung von Vieh das Gewöhnlichere.
Auffallend ist J. I I a h n ’s Notiz, dass die Erbfolge der Häuptlingswürde
nicht immer auf den ältesten Sohn des Verstorbenen übergeht, sondern
häufig auf denjenigen seiner Schwester, welcher hinsichtlich des Vermögens
in der R e g e l als der Haupterbe angesehen werde. Es ist dies sehr abweichend
von den Verhältnissen der ändern südafrikanischen Bantu -Völker,
unter denen den weiblichen Linien nirgends eine vorwiegende Bedeutung
beigelegt wird, und steht in directem Widerspruche mit A n d e r s s o n ’s Angabe,
welcher ausdrücklich betont, dass der älteste Sohn der Hauptfrau (Lieblingsfrau)
des Häuptlings in seine Stelle rückte1).
Bestätigte sich H a h n ’s Angabe, so würde auch aus diesen Verhältnissen
erhellen, dass in der That unter den Herero von allen dunkelpigmentirten
Racen Süd-Afrika’s das Weib die relativ höchste Stellung einnimmt, wozu
die Häufigkeit monogamischer Verbindungen Vieles beitragen mag. Dem-
gemäss erscheint auch das eheliche Leben überhaupt in einem besseren
Lichte als bei den Xosa, Gattenliebe gehört nicht unter die ungewöhnlichen
Vorkommnisse und die Frau ist nicht gänzlich zum Lastthier erniedrigt.
Es spricht sich dies in der abweichenden Arbeitstheilung der Geschlechter
ebenfalls aus. Der Hüttenbau ist zwar auch hier hauptsächlich
Sache der Frauen, doch hilft der Mann regelmässig dabei mit und nimmt
manche der schwereren Arbeiten auf seinen Theil. Die Wartung des Viehes
ist Sache der Männer bis auf das Melken, welches von beiden Geschlechtern
verrichtet wird; die Errichtung des Dornenzaunes um die Niederlassung zum
Schutz für das Vieh, das Brunnengraben, sowie Jagd und Krieg sind dem
männlichen Geschlecht zugewiesen.
Bei der Besprechung der Waffen wurde bereits -darauf hingewiesen,
wie wenig streitbar die Herero'im Allgemeinen sind, und ohne europäische
Führung haben sie im Felde niemals viel geleistet; trotzdem fehlt es nicht
an kleinen Fehden unter ihnen selbst und mit den Nachbarn, wobei von
vorn herein Räubereien von Vieh als der eigentliche Zwreck der ganzen-
Unternehmung erscheinen. Im raschen Ueberfall sucht man sich der Heerden
zu bemächtigen und treibt sie, wenn der Streich gelungen ist, triumphirend
heim, wo der Häuptling die Rückkehrenden feierlich empfängt und ihnen
ein Fest bereitet, wobei der Kriegsgesang angestimmt wird. Um die Beraubten
nicht gänzlich dem Verderben anheimfallen zu lassen, sollen die
Sieger denselben auf ihre demüthige Bitte hin einen Theil des erbeuteten
Viehes zurück schicken (J. H a h n ) , eine Gutmüthigkeit, welche sonst wenig
bei den Eingeborenen in Gebrauch ist.
Eng und klein, wie die Machtentwickelung der einzelnen Häuptlinge
ist, halten sie doch viel auf Würde und äusseres Decorum; denn der Hang
nach Beobachtung einer gewissen Etiquette ist bei den Herero besonders
stark erwickelt. Es prägt sich dies in manchen Eigenthümlichkeiten aus,
wie z. B. den Ceremonien beim Empfang Fremder, welche geduldig ausserhalb
der Umzäunung des Ortes zu warten haben, bis ihre Ankunft gemeldet
und vom Häuptling die Erlaubniss zum Eintritt ertheilt ist; zuweilen geht
der Häuptling dem Gast bis an den Eingang entgegen und beginnt sofort
mit dem Fremdenexamen, welches durch ganz Süd-Afrika verbreitet ist,
und in der leicht verzeihlichen Neugier abgeschlossen lebender Menschen
seinen Grund hat. Andernfalls empfangt der Häuptling den Besuch feierlich
in seiner Hütte und reicht ihm zur Bewillkommnung eine Schüssel mit
saurer Milch, von welcher der Gast trotz der Kruste von Schmuz auf derselben
tapfer zulangen muss.
Ganz ähnlich war mein eigener Empfang beim Rß-iwm^e&e-Häuptling
Gassisioe, doch mit dem Unterschied, dass die Milchschüssel sich durch die
grösste Sauberkeit auszeichnete , die Herero legen aber auf ihre Ceremonien
noch einen viel grösseren Werth und dehnen sie weiter aus als die Be-chuana.
Denn während die Letzteren nur für einzelne Stämme bestimmte Vorschriften
der Lebensweise und Speisegesetze haben, finden sich solche bei den Herero
sogar in den einzelnen Familien, welche sich durch die ceremoniellen
Aeusserlichkeiten nach Art von Kasten abgränzen, ohne dass ich jedoch