tretern der angesehensten Familien erwählt, ist auch bei den Namaqua stets
ein wichtiger Factor im Gemeinwesen, welcher im Stande ist, einen
schwachen Häuptling vollständig zu leiten.
Unter dem Vorsitz des Häuptlings entscheidet der Beirath Rechtsstreitigkeiten,
und urtheilt als Gerichtshof über criminelle Vergehen; die
verhängten Strafen bestehen hauptsächlich in Vermögensstrafen, was zur
Gemächlichkeit des Gerichtshofes viel beiträgt, und nur im Unvermögensfalle
in körperlicher Züchtigung. Das formelle Recht wird in der Regel
strict gewahrt, und T i n d a l l spricht sieh sehr anerkennend über die Schärfe
ihres Urtheils aus, wenn sie auch öfters aus unbekannten Gründen scheinbar
thöriehte Entscheidungen träfen. Er sucht diese Widersprüche sehr
einleuchtender Weise dadurch zu erklären, dass er annimmt, solche Urtheile
würden wohl anders ausgefallen sein, wenn geheime Gelüste die Richter
nicht beeinflusst hätten.
T h . H a h n giebt auf anderm Gebiet einen ähnlichen Charakterzug an :
Die Gewohnheit, vom Lebensunterhalt an die Umgebung mitzutheilen,
macht diese Stämme überhaupt geneigt Gastfreiheit zu üben; die Namaqua
haben aber noch besondere Veranlassung dazu, gegen die Fremden zuvorkommend
zu sein, da sie beim heutigen Stande der Dinge stark auf dieselben
angewiesen sind, um europäische Producte, deren sie bedürfen, vor
allem Munition zu erhalten. Die Fremden werden im Allgemeinen von den
Namaqua recht gut aufgenommen, und manche Häuptlinge haben zu ihren
Gunsten bestimmte Gesetze erlassen, wonach die Aufnahme und Verpflegung
geregelt wird. Hat man aber das Gebiet des Stammes verlassen, so dass
sie darauf rechnen, das Odium der That von sich abwälzen zu können, so
ereignet es sich wohl, dass die Begierde bei ihnen zum Durchbruch kommt,
und sie den Gastfreund, welcher sich ihrer Gunst nicht genügend versichert
hat, auf dem Wege ausplündem. Sie sehen darin keineswegs ein schlimmes
Verbrechen und nennen diese unerwünschte Erleichterung des Reisenden
»abnehmen«.’
Welchen Werth die Eingeborenen darauf legen, das formelle Recht,
besonders Europäern gegenüber, aufrecht zu erhalten, zeigte sich in einem
Falle, der sich hei den Bündel - Zwarts zutrug. Ein weisser Händler wurde
durch die Betteleien und Plagereien der Dorfbevölkerung einst aufgebracht,
dass er sein Gewehr ergriff und einen der Quälgeister niederschoss, worauf
die Menge auseinanderstob, der Händler aber, im Gedanken, dass sein
Lehen den Gesetzen des Landes verfallen sei, mit einem Begleiter und
seinem Griqua-'l'ieiber nächtlicher Weile in die Wüste floh; dort wurde er
nach schweren Leiden'schliesslich sammt seinem Begleiter von dem Griqua
ermordet, welcher sich allein nach bewohnten Gegenden durchschlug. Es
wäre unter solchen Verhältnissen gewiss zu rechtfertigen gewesen, wenn
der Häuptling David Christian die zurückgelassenen Wagen des entflohenen
Verbrechers als Sühne mit Beschlag belegt hätte; doch geschah dies nicht,
sondern er sandte sie, als der Besitzer verschollen blieb, mit sicheren Leuten
nach der Colonie zurück.
Hätte sich der Mann gestellt, so würde der Gerichtshof ihn keineswegs
zum Tode verurtheilt haben, sondern vermuthlich, wäre er mit einer
Busse von einigen Rindern an die Obrigkeit und die Verwandten des Erschossenen
davongekommen. Vielleicht schreckte ihn aber auch der Gedanke
an die Blutrache, welche bei den Namaqua wie bei den benachbarten
Herero herrscht; nach T h . H a h n ’s Angaben scheint sie aber bei Ersteren
nicht so selten zur Ausführung zu kommen, als bei den Letzteren, deren
schläfriges Temperament leichter zu beruhigen ist. Gegen einen Europäer
sind die Eingeborenen selbst im Falle eines Verbrechens nachsichtiger, und
ich glaube nicht, dass der Bluträcher sich an ihn gewagt haben würde.
Bei unbeabsichtigtem Morde soll der Rächer sich der Sitte nach stets
mit einer Busse an Vieh begnügen, und es wird dabei ein Versöhnungsmahl
abgehalten, an dem sich auch die Freunde des Mörders betheiligen; dieser
selbst darf aber nicht mit von dem Rinde essen, welches er geliefert hat,
sondern wird nur mit dem Blute desselben bestrichen, worauf die Angelegenheit
als beigelegt betrachtet wird.
Werfen wir schliesslich noch einen Blick auf das Familienleben der in
Rede stehenden Eingeborenen, so sehen wir hier nicht so , düstere Bilder,
wie der wilde Zulu oder auch der Xosa sie uns bot; es gestaltet sich selbst
freundlicher-, als die Ueberlieferungen es den cap’sehen Hottentotten zusprechen,
wrozu europäischer Einfluss freilich nicht unwesentlich beigetragen
haben mag.
Auch bei den Namaqua ist Polygamie Landessitte, doch kommt sie
bereits seltener zur Ausführung; meist begnügen sich die' Leute mit einer
Frau, und wenn T h . H a h n ’s Angabe sich bestätigt, dass ein Mann, der
sein Weib durch den Tod verloren hat, nur ausnahmsweise wieder heirathet,
so übertreffen sie durch Anhänglichkeit die Boeren bei Weitem; bei diesen
ist es das häufigste Vorkomniss, dass ein Mann nach einander drei, vier
Frauen hat, und oft genug erwartet er mit Ungeduld den Tod einer kränklich
gewordenen, um eine andere zu nehmen, ehe das Gras auf dem Grabe
jener zu keimen begann.
Sentimentalität ist allerdings wenig im ehelichen Leben der Namaqua
zu finden, vielmehr gebraucht die Frau die wunderbare Geläufigkeit ihrer
Zunge und den ebenso staunenswerthen Reichthum an den schmählichsten
Schimpfwörtern ohne Bedenken auch gegen den Eheherrn, der sich bei der
Ungleichheit der Waffen alsdann veranlasst sieht, schlagende Beweise gegen
ihre Schmählieder in Anwendung zu bringen; gleich darauf sind sie aber
wieder die besten Freunde von der Welt, und scherzen zusammen, wie die
zärtlichsten Liebesleute.
Durch diese engere Verbindung der Ehegatten stellt sich das Loos
der Frauen überhaupt nicht so hart, als bei den meisten übrigen südafri