Durch diese Verzerrungen der' umgebenden Theile kommt es wohl vor,
dass die Honzontalaxe der Augenspalte geneigt erscheint, doch unterliegt
. dies der grössten Mannigfaltigkeit, und eine Regel lässt sich darüber nicht
genau feststellen.
Die übrigen Weichtheile, welche zur allgemeinen Figuration des Gesichtes
beitragen, sind wesentlich durch die darunter liegenden knöchernen
Gebilde m ihrer abweichenden Gestaltung bestimmt, und die Unterschiede
sind daher in den letzteren zu suchen. Es sei hier nur noch im Allgemeinen
bemerkt, dass die verhältnissmässige Stärke der Weichtheile besonders der
Kau- und Schläfenmuskeln, sowie die grobe Textur der Haut den Zügen
etwas eigenthümlich Rohes, Thierisches verleiht, ohne dass die Verhältnisse
geradezu unschön zu sein brauchen. Auf besondere Beispiele-hinzuweisen
erscheint unnöthig, da beim Durchblättern der Abbildungen sieh diese Bemerkung
dem unbefangenen Beschauer wohl von selbst unmittelbar auf-
drängt.
Construirt man auf den Vorderansichten ein gleichschenkliges Dreieck,
indem man die Verbindungslinie der äusseren Augenwinkel als Basis, die
Entfernung bis zur Nasenspitze als Schenkel einträgt, so erhält man’ eine
Figur, in welcher besonders die Basiswinkel für .die allgemeinen Verhältnisse
von Interesse sind. Die Grösse dieser Winkel schwankt bei den
A-bantu zwischen 48 » und 34«; doch in den meisten Fällen bewegen sich
die Zahlen 42«und46°. Der Durchschnitt von 30 Messungen ergab 43° 14'-.
b) Das Skelett.
Wenn einst L ic h t e n s t e in 1) , beeinflusst durch vorgefasste Meinungen,
schreiben konnte, dass die Gesichtsknochen und die Schädelbildung des
Kaffem der des Europäers ähnlich sei, so ist diese eine Bemerkung hinreichend,
um zu beweisen, auf wie schwachen Füssen damals die Anthropologie
stand; denn heut zu Tage dürfte wohl Niemand eine derartige
Behauptung aufzustellen wagen.
Nicht nur der Schädel, sondern auch das Skelett als Ganzes betrachtet
unterscheidet sich sehr auffallend von dem der europäischen Racen. Zunächst
m die Augen fallend erscheint die höchst interessante Thatsache, dass der
/ Knochenbau des Kaffem sich ebenso zu dem der Europäer verhält, wie der
eines wilden Thieres zu dem eines gezähmten derselben Gattung. Das
Skelett zeigt deutlich den Charakter der Unkultur durch die schlankeren,
gracileren Knochen, welche weniger Volumen enthalten, aber dabei fest,
elastisch und' von glatterer Oberfläche sind. Die Vorsprünge und Leisten
sind scharf markirt und deutlich abgesetzt, aber nicht so massig, als es bei
unseren Stammesgenossen häufig vorkommt. Besonders die Gelenkenden
erscheinen schwächer gebildet; so betrug die durchschnittliche Entfernung
L. a. a. O. I. pag. 398.
des Humeruskopfes bis zum Tuberculum majus gemessen, bei drei Kaffer-
skeletten (sämmtlich relativ kräftige Männer) 4.57 CM., bei drei beliebig
herausgegriffenen deutschen Humeris 5.13 CM., die Breite der Condylen
verhielt sich wie 6.1 CM. (Kaffer) zu 6.37 (Deutscher). Die Circumferenz
an der dicksten Stelle der Diaphyse wie 6.53 (K.) zu 6.83 (Deutsch.).
Am Femur derselben Skelette stellten sich die Zahlen, gegenüber drei
europäischen Femores wie folgt ; Entfernung vom Kopf bis zum abstehendsten
Punkt des Trochanter maj. wie 9.4 K.)' zu 10.43 Deutsch.) ; Breite der
Condylen 7.53 : (K.j‘! zu 8.4 (Deutsch.'!; Circumferenz an der dicksten Stelle
der Diaphyse'8:77 (K.) zu 9.27 (Eur.), Also durchgängig höhere Werthe
auf Seiten der deutschen Skeletttheile, obgleich fest versichert werden .kann,
dass' die Kaffern unter Ihresgleichen als kräftige Männejr betrachtet worden
waren1) . So leitet schon diese Betrachtung darauf hin, dass die Kaffem weder
ein civilisirtes Volk noch als Muster einer kräftigen Entwickelung des Körpers
zu betrachten sind, wie manche Autoren zu behaupten für gut befunden haben.
Ebenso sind die Knochen des Rumpfes, Wirbel, Rippen etc. weniger
massig als die entsprechenden eines Germanen.
Der Schädel allein verhält sich in dieser Beziehung umgekehrt, d. h.
er zeichnet sich durch die compacte, massige Entwickelung der Knochen
aus, was zunächst bei dem Gesichtstheil desselben am Meisten in die Augen
springt. Die Caharia ist wohl auch dick genug, doch fällt es bei ihr auf
den ersten Anblick wegen der allgemeinen Form des Schädeln nicht so auf.
Derselbe ist nämlich nach der WELCKER’schen Bezeichnung hypsisteno-
cephal, d. h. er 'ist steno (dolicho-) cephal bei gleichzeitig auftretender, ziemlich
beträchtlicher Höhe. Der Breitenindex (die grösste Breite in Procenten
der grössten Länge ausgedrückt), welchen die von mir gemessenen männlichen
Kaffernsehädel ergeben, ist 71,89. CM., während W e l c h e r dafür
09 - ajagiebt; die Differenz erklärt sich aber wohl einfach so , dass der
') Das Gewicht der Knochen hätte wohl noch prononcirtere Zahlen ergeben, doch
wurde von dieser Vergleichung Abstand genommen, da der Verlust derselben beim Lagern
im Boden nicht wohl festzustellen war.
2) Archiv für Anthropologie. I pag. 157. Der geschätzte Forscher, für" dessen Verdienste
um den Aufschwung der Anthropologie Schreiber dieses die allergrösste Achtung
hegt, w;rd wohl verzeihen, wenn hier die Vermuthung aufgestellt wird, dass das schwächere
Hervortreten charakteristischer Unterschiede in seinen Tabellen wenigstens zum Theil zurückgeführt
werden könnte auf weniger zuverlässiges Material, welches hier und da mit unter gelaufen
zu sein scheint. Es.ist gewiss sehr anerkennenswerth, wenn' man die Beobachtungsreihen
mit solchem Eifer und Fleisse zu erweitern sucht, wie W e l c k e r , wofür die stolze
Zahl von 66 gemessenen Negerschädeln allein ein gutes Beispiel abgiebt, aber man kann
darin auch zu weit gehen. Ebensowenig als der Forscher einen Schädel, dessen Abstammung
zuverlässig ist, bei Seite setzen darf, weil er mit seinen vorgefassten Meinungen von
der beim betreffenden Stamme vorkommenden Bildung nicht stimmt, ebensowenig kann
man von ihm verlangen, dass er einen unter beliebigem Etiquette in ’ irgend einer Sammlung
Vorgefundenen Schädel, für dessen zuverlässige Bezeichnung nicht die geringste Garantie
vorliegt, oder ein in überseeischen Plätzen von guten Freunden überkommenes Spe-
cimen von abweichender Form ohne Weiteres mit einfügt, um die Reihe zu verlängern."
Dass die lange Reihe als solche die Unterschiede nicht' in dem Grade abschleift,