Wenn T in d a l l die Namaqua hier und da unstreitig etwas schwarz
malt, so ist seine Auffassung im Allgemeinen doch nicht unberechtigt;
»habsüchtig« ist wohl ein zu starker Ausdruck, aber begehrlich sind die in
Rede stehenden Eingeborenen ganz gewiss, das geht aus den meisten Berichten
unwiderlegbar hervor*). Ausser Unmässigkeit im Essen würde ihnen
Niemand die grosse Neigung zum Missbrauch starker Getränke absprechen
können, worin sie ebenfalls echte Hottentotten sind, und manche Autoren
haben gerade diesen Fehler in besonderer Weise hervorgehoben, wie vor
allen K r e t z s c h m a r 2) , der angiebt, dass der Nama für eine Flasche Branntwein
sein Weib verkaufe oder einen Mord begehe. Hierin sind die Farben
etwas dick aufgetragen, um der Wirkung um so sicherer zu sein, eine
starke Liebhaberei für Spirituosen ist aber keinesfalls zu bestreiten. Es geht
diese Neigung auch schon daraus hervor, dass die Namaqua sich selbst mehr
mit der Darstellung solcher Getränke befasst haben als die ändern Stämme;
sie bereiten nicht nur das bereits erwähnte Honigbier, indem sie eine Auflösung
dieses Stoffes unter Zusatz eines pflanzlichen Aufgusses zur Gährung
br ingensondern .sie haben auch gelernt, aus den Früchten des Rozijntje-
boomes (Grewia flava) wirklich eine Art Branntwein zu destilliren. Der
dabei zur Verwendung kommende Apparat, welchen T in d a l l genau beschreibt,
deutet unverkennbar auf europäischen Ursprung und verdient daher
keinen Platz unter nationalen Erfindungen.
Die lebhafte Gemüthsart der Namaqua prägt sich auch wie bei den
verwandten Stämmen in ihrer Neigung zu festlichen Tänzen aus, womit
nicht eine Art Gottesverehrung gemeint ist, sonderif viel mehr ein Cultus
der Sinnlichkeit, obgleich'T in d a l l ’s höchst interessante Notiz, dass in der
Ausdrucksweise der Eingeborenen die Worte »sie tanzen«, von Stammesangehörigen
gebraucht, bedeuten, dieselben seien noch Heiden, verschiedener
Deutung unterliegen kann; wenden sie sich dem Christenthum zu, so sagt
man »sie haben das Tanzen aufgegeben«, kehren sie aber zum Tanzen und
damit zu ihren alten sinnlichen Vergnügungen zurück, so soll es auch bald
mit den Fortschritten in der Bekehrung vorbei sein.
Was der genannte Autor hinsichtlich der Religiosität der Namaqua
sagt, stimmt in vielen Punkten mit den Anschauungen überein, welche
ich selbst bei verwandten Stämmen gewonnen habe, und die Bemerkungen
sind so sachlich, dass es unmöglich ist zu sagen, der Mann urtheile so aus
Unkenntniss der Verhältnisse, wenn man auch seine Anschauung nicht
theilt. T in d a l l sagt wörtlich Folgendes: »Was Religion anlangt, so
scheinen ihre Gemüther ein fast unbeschriebenes Blatt gewesen zu sein.
Bevor sie mit den ersten Grundlagen des Christenthums bekannt wurden,
pflegten sie wohl kaum irgend welche Gebräuche und Ceremonien von
!) Vergl. auch: B a i n e s , Explor. in S.-W. Africa p. 76. Namaqua-women begging.
2) Kr, Südafrik. Skizzen.
religiösem Charakter (?) zu beobachten, oder eine Idee von Verantwortlichkeit
gegen ein höheres Wesen! gehabt zu haben. Die Thatsache, dass ihre
Sprache Benennungen erhält für Gott, Geister, und auch für den Bösen,
scheint anzuzeigen, dass sie in diesen Dingen nicht ganz unwissend waren,
obgleich Nichts weiter in den Ausdrücken der Sprache oder in ceremoniellen
Gebräuchen und Aberglauben vorhanden ist, was d en B ew e i s br ä cht e
von i r g e n d e twa s mehr a ls e in e r r ohen V o r s t e l l u n g e ine r
g e i s t i g e n We l t . Ich glaube, dass die abergläubischen Geschichten,
welche von Reisenden ihnen abgelauscht und als religiöse Erinnerungen
vorgebracht wurden, von den Eingeborenen selbst nur als Fabeln aufgefasst
werden, welche man entweder zur Unterhaltung erzählt, oder die dazu
dienen, die Gewohnheiten und Eigenthümlichkeiten der wilden Thiere zu
veranschaulichen. S i e h a b en v i e l mehr Ve r t r a u e n zu Z a u b e r k
r ä f t en a l s zur Re l ig ion« . Der Autor kannte also die Worte der Sprache
welche sich auf religiöse Dinge bezogen, er kannte den Aberglauben der
Eingeborenen und ihre Geschichten, mochte aber darin Nichts sehen, was
über unklare Vorstellungen, wie sie bei fast allen südafrikanischen Eingeborenen
vorhanden sind, hinausgeht. Ob man geneigt ist, den abergläubischen
Gebräuchen einen religiösen Charakter beizulegen oder nicht, kommt
auf die Auffassung an, ich möchte die Frage eher bejahen, da sich in denselben
unzweifelhaft religiöse Instincte offenbaren, doch werfen wir einen
Blick auf die »Gesfchichten«, welche sich auch hier wiederum »trefflich
eignen zur"Vergrösserung der Legenden«.
Das grösste Verdienst, diese gewiss sehr interessanten Erzählungen
weiteren Kreisen zugänglich gemacht zu haben, hat B l e e k , welcher eine
Sammlung derselben herausgab, die er wegen dem Vorherrschen der Thierfabel
»Reynard the Fox in South-Africa« betitelte. Auch mythische Ueberlie-
ferungen kommen darin vor, zu deren Ergänzung und Erweiterung T h . H a h n
in seinen schätzenswerthen Aufsätzen Vieles beigetragen hat. Die Letzteren
kommen hier zunächst in Betracht, da auf sie das religiöse System hauptsächlich
gegründet worden is t ; obenan steht unter ihnen die Sage vom Heitsi-
Eibib, einem räthselhaften Wesen, das als nationaler Held der Namaqua
angesehen wird und als solcher eine gewisse Verehrung geniesst, wie der
Tsui-xoab anderer hottentottischer Stämme, dessen Stelle er bei den Ersteren
in der That einnimmt. Die Vorstellungen haben Vieles gemeinsam, so dass
auch T h . H a h n durch die Vergleichung der Mythen zu dem Schluss kommt:
»Es mag wirklich einst einen Mann, Heitsi-Eibib, gegeben haben, der als
weiser und tapferer Häuptling sich unter ihnen berühmt gemacht hat. Viele
seiner Thaten mögen auch in den Augen des gewöhnlichen Volkes übernatürlich
und zauberhaft erschienen sein«1).
*) A. a. O. Globus 1867. p. 276.
F r i t s c li, Die Eingeborenen Süd-Afrika's.