die Sitte sich verändert zu haben; denn S p a r r m a n n 4) versichert ausdrücklich,
der jüngste Sohn sei der vornehmste und beinah alleinige Erbe, was
auch ,bei anderen verwandten Stämmen (vergl. im Kap. d. Namaqua) noch
heut vorkommt.
Ausser den angeführten Grundzügen giebt K o l b e n noch eine grosse
Menge von Einzelheiten, von denen gewiss sehr Vieles auf Wahrheit beruht,
aber da es unmöglich ist, dieselben von dem dazu tretenden Aufputz zu
unterscheiden, so lässt man dieselben wohl besser dahingestellt. Es bleibt
nun noch ein Gebiet zur Betrachtung übrig, worin der genannte Autor
greade besonders heftig angegriffen worden ist, und doch auch darin mit
Unrecht, wenn man sich die thatsächlichen Grundlagen in seinen Darstellungen
sucht: dies sind die religiösen Vorstellungen.
Wenn K o l b e n erzählt, wie jedes Dorf seinen besonderen Doctor hat, der
aber ausserdem noch »Barbierer« ist, grössere Ortschaften aber deren zwei,
und auch in jedem einen »Pfaffen« fungiren lässt, so ist ihm diese unschädliche
Wichtigthuerei wohl eher zu verzeihen, als wenn W o o d die religiösen
Instincte ganz bestreitet und mit dürren Worten sagt, die Hottentotten seien
sogar frei von jedem Aberglauben2). Wie er zu dieser Entdeckung gekommen
ist, weiss ich nicht, kann aber aus eigener Erfahrung bestätigen, dass ich
keinen Stamm Süd-Airika’s in seinem Aberglauben so störrig gefunden habe,
als die Reste der eigentlichen Hottentotten. Die beigefügte Portraitsammlung
wäre nicht so arm an Individuen genannten Stammes, wenn nicht der Aberglauben,
es würde durch die Anfertigung eines Bildes ihrer Lebenskraft
ein Theil weggenommen, mir immer und immer wieder die gehofften Errungenschaften
entzog. In Port Elisabeth war selbst die gewichtige Person des
Sheriffs nicht im Stande eine alte Hottentottin zum Photographiren zu
bewegen, obgleich sie gute Gründe gehabt hätte, diese Magistratsperson
bei Laune zu erhalten, und auch den Griqua - Häuptling Waterboer, einen
für seine Verhältnisse aufgeklärten Mann, konnte ich nicht von diesem thö-
richten Aberglauben zurückbringen; in verschiedenen ändern Fällen machte
ich dieselbe Erfahrung mit solchen Eingeborenen. A u c h sonst fehlt es so
wenig in den Autoren an glaubwürdigen, Notizen über Hottentotten-Aberglauben,
dass W o o d sich wohl hätte orientiren können.
Freilich ist bei einem Autor, der das engliche Wort »black«, (black-
klip) für ein holländisches, das holländisch-coloniale » bamboes « für ein hotten-
tottisches hält, nicht zu erwarten, dass er das bei den Kaffem gebrauchte
Wort TPtixo für ein hottentottisches erkennt, er hätte aber auch in einem
ändern Autor sich diese Information verschaffen können und würde dann
wohl zweifelhaft geworden sein, ob man den Koi-koin alle religiösen Instincte
bis auf den Aberglauben herunter absprechen dürfte. K o l b e n ’s Darstellung
war dazu ganz ausreichend, wenn er sie richtig gelesen und verstanden hätte.
1) A. a. O. p. 226.
2) A. a. O. p. 257.
Der Letztere spricht von dem höchsten Gott, welchen die Hottentotten
verehren, und nennt ihn » Gounja Ticqoa«, d. h. »Gott der Götter«. Andere
Autoren,unter denen besonders A p p l e y a r d 1) Beachtung verdient, haben es
direct ausgesprochen,. dass das Wort TTtixo, welches sich von dem obigen
nur durch die Schreibweise und das Preüx Z7’ unterscheidet, wirklich dem
Hottentottischen entnommen sei.
Die religiösen Instincte sind offenbar bei den Koi~koin keineswegs
schwach, und viele achtbare Forscher haben sich bemüht, davon ein Bild
zu entwerfen, doch fast alle ziehen europäische, religiöse Philosophie mit
zu Rathe, wodurch das Bild mit Nothwendigkeit entstellt wird. Die
fleissigste Zusammenstellung über den fraglichen Gegenstand .scheint mir die
von meinem verehrten Freund T h e o p h i l u s H a h n z u sein2) und dieser Forscher
hat dabei eine sehr anerkennenswerthe Zurückhaltung in der Entscheidung
über die grössere oder geringere Berechtigung der verschiedenen Ansichten
gezeigt.
Ich glaube nicht, dass ich meiner Aufgabe .genügen würde, wenn
ich mich in gleicher Weise zurückhielte, und muss wohl auf die Gefahr hin
stellenweise irre zu gehen, positiver auftreten.
Indem ich hier nochmals auf den oben (pag. 197) angeführten Ausspruch
des Missionär C a m p b e l l hinweise, welcher das scheinbar unvermeidliche
Verfallen der Beobachter in christliche Anschauungen charakterisirt
(wie der Zeichenstift des Künstlers hinsichtlich -der Portraits stets in die
auswendig gelernten, europäischen. Formen zurückgeht) leugne ich die Berechtigung,
unsere Philosophie zur Auslegung hottentottischer Gebräuche zu
verwerthen. Wie sich K o l b e n ’s Uebersetzung von »Gounja Ticqoa« gleich
»Gott der Göt t e r« als ein durch solche Bestrebungen veranlasster Irrthum
kennzeichnet, so auch die von ihm und vielen ändern gelehrten Forschern
gemachte Angabe, dass sie diesen höchsten Gott als Herrn des Himmels
und der Erde begreiflicher Weise (?) als den g r o s s en Ha u p tma n n be-
zeichneh oder, in colonialer Ausdrucks weise, als d en g r o s s e n Capi tain.
Schon die notorische Thatsache, dass das Wort Tsui-xoab3) in wörtlicher
Uebersetzung »Wund-Knie« bedeutet, sollte wohl bedenklich machen,
ob damit ein höchster Gott., - Schöpfer Himmels und der Erden in unserem
Sinne bezeichnet werden kann. Wenn auch local auftretende Sagen es zu-
erklären suchen, wie ihr Gott zu der Wunde gekommen sei, so erscheint
dies doch vielmehr als eine Bestrebung der Späteren, die Lücke im Gedanken
auszufüllen, als eine urthümliche Anschauung.
Stellen wir uns mit Vermeidung aller christlich—germanischen Ueber—
lieferungen auf den durchgreifenden realistischen Standpunkt der Eingeborenen,
*) Kafir Language p. 13.
2) Beiträge zur Runde d. Hottent. Zeitschr. f. Erdkunde. Dresden.
| ' Tsui- || koab, T h . H a h n .
F r i t s c h , Die Eingehörepen Sftd-Afrika’s. *22