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 sie  wilde  Naturerzeugnisse  benutzen  und  zwar  verwandten  sie  gewöhnlich  
 wilden  Honig,  weiter  nördlich  aber,  jenseits  des  Orangeflusses  wird  auch  
 aus  den  Feeren  der  Grewia  eine  Art  Branntwein  dargestellt.  Beide  Stoffe  
 standen  wohl  den  Cap’sehen  Hottentotten  nicht  hinlänglich  zu  Gebote,  um  
 sie  zu  gedachtem  Zwecke  benutzen  zu  können,  um  so  lüsterner  waren  sie  
 aber  nach  den  von  Europa  her  eingeführten  Spirituosen. 
 Bei  Gelegenheit  der  Beschreibung  von  Hochzeitceremonien  kommt  
 K o l b e n   auch  auf  die Besprechung  einer  eigenthümlichen  Sitte,  welche unter  
 den  Koi-koin  noch  heutigen  Tages  verbreitet  und  von  ihnen  auch  auf  die  
 Kaffern  zum  Theil  übergegangen  ist,  deren  Bedeutung  aber  nicht  nur  verschieden  
 aufgefasst  wird,  sondern  in  der  That  verschieden  zu  sein  scheint.  
 Man  findet  unter  den  Koi-koin  besonders  beim  weiblichen  Geschlecht  sehr  
 häufig  verstümmelte  Finger  und  zwar  fehlt  am  häufigsten  ein  Glied  des  
 kleinen  Fingers,  mitunter  zwei,  zuweilen  fehlen  auch  die  letzten  Glieder  
 der  nächsten. 
 W ie  alt  das  Vorkommen  is t,  erhellt  aus  dem  Umstande,  dass  schon  
 zu  K o l b e n ’s   Zeiten  die  von  einer  Reihe  von  Autoren  darüber  aufgestellten  
 Controversen  sehr  mannigfaltig  sind.  K o l b e n   selbst  will  nur  von  einer  
 Auslegung  etwas wissen,  die  ändern  verwirft  er  gänzlich ;  nach  seiner Meinung  
 mussten  die Wittwen,  welche  sich wieder verheirathen wollten,  vorher  
 ein  Glied  ihres  Fingers  opfern,  und  dann  erst  wurden  sie  als  wieder  hei-  
 rathsfähig  betrachtet.  Unter  den  entgegenstehenden  Angaben  der  alten  
 Autoren  ist  diejenige  zu  erwähnen,  nach  welcher  das Abschneiden  einzelner  
 Fingerglieder  als  ein  äusseres  Zeichen  der  Trauer  beim Verlust  eines  nahen  
 Verwandten  erklärt  wird,  und  eine  andere,  wonach  die  Mutter  beim  Verlust  
 eines  Kindes  durch  den  Tod  ein  Glied  vom  Finger  des  Ueberlebenden  
 abschneiden  sollte,  damit  es  desto sicherer am  Leben  bleibe.  K o l b e n  meint,  
 wenn  die  letztere  Ansicht  richtig  wäre,  so  müsste  sich  die  Verstümmelung  
 bei  beiden Geschlechtern  gleichmässig  finden,  während sie  in  der That  beim  
 weiblichen Geschlecht wenigstens  häufiger vorzukommen scheint,  andererseits  
 aber  könnte  sie  nicht,  wenn  K o l b e n   ausschliesslich  Recht  hätte,  auch  bei  
 Kindern  Vorkommen,  worüber  gar  kein  Zweifel  besteht.  Es  ist  hier  auf  
 die4bereits  oben  (pag.  108)  genannte  Sitte  der  Kaffern,  das  Isiko  lengqiti,  
 zurückzukommen,  welche  heut  zu Tage wenigstens die  hauptsächlichste Veranlassung  
 der  Fingerverstümmelung  bei  den  Koi-koin  ist,  wenn  auch  vielleicht  
 nicht  die  einzige.  An  der  angeführten  Stelle  findet  sich  bereits  die  
 Andeutung,  dass  mit  Rücksicht  auf  die  viel  grössere  Häufigkeit  der  Sitte  
 bei  den  in  Rede  stehenden  Stämmen  als  bei  den  Bantu-Völkern,  dieselbe  
 bei  Jenen wohl  das  oben  beschriebene  Isiko  lobulunga vertreten haben möchte,  
 und  die  Kaffern  erst  später  beide  übernommen  haben.  Wie  schon  ein  alter  
 Autor  ( B ö v i n g )   ganz  richtig  bemerkte,  geschieht  es  an  Kindern,  um  sie  zu 
 feien  gegen  schädliche  Einflüsse  irgend  welcher  Art,  aber  nicht  erst,  wenn  
 eins  gestorben  ist,  sondern,  wie  das  TJbulunga  der  Kaffern,  bei  abergläubischen  
 Aeltern  einige Zeit  nach  der Geburt;  ganz  allgemein  kann  die  Sitte  
 indessen  nicht  sein,  da  man  öfter  die  Fingerglieder  auch  vollständig  findet,  
 und  auch  darüber  liegen  keine Angaben  vor,  warum  die Mädchen  derselben  
 regelmässiger  unterworfen  zu  werden  scheinen  als  die  Knaben. 
 Handelt  es  sich um Kinder,  so  geschieht die Operation  durch Abbinden  
 des  zu  entfernenden Gliedes  mittelst  einer Sehne,  welche man  allmälig  mehr  
 und  mehr  anzieht,  um  das  Absterben  und  die  Lostrennung  des  unterbundenen  
 Theiles  zu  bewirken.  Es  wurde  mir  mitgetheilt,  dass  in  der Art  der  
 Ausführung  constante  Unterschiede  beständen,  wesshalb  das  Aussehn  des  
 zurückbleibenden  Stumpfes  gleichzeitig  als  Familienkennzeichen  diene. 
 Sehr  positive  Angaben  zu  machen  ist  gerade  in  vorliegendem  Kapitel  
 fast  unmöglich,  da  die  heutige  Zerrüttung  der  Stämme  es  nicht  erlaubt,  
 sich,  wie  bei  den  ändern  ein -bestimmtes  eigenes  Urtheil  zu  bilden,  und  
 selbst  die Autoren  der  frühsten  Zeit an Ort und  Stelle Mühe  gefunden  haben,  
 aus  den  Eingeborenen  die  Wahrheit  heraus  zu  locken,  wie  durch  die  vielfältigen  
 Widersprüche  erhellt.  Es  ist  gewiss  bedenklich,  sich  auf  so  aufgeputzte  
 und  zugestutzte  Darstellungen,  wie  die  KoLBEN’scheri,  stützen  zu  
 müssen,  es  ist  aber  auch  unbestreitbar,  dass  früher  Manches  wirklich  bestanden  
 haben  kann,  was  heute  unerwiesen  oder  sogar  absurd  erscheint.  
 So  sicher  das  I n s e k t ,   dem  die  Hottentotten  göttliche  Verehrung  zollen  
 sollen,  nicht,  wie  K o l b e n   ausdrücklich  angiebt,  8  B e i n e   gehabt  hat,  so  
 sicher  ist  nicht Alles wahr, was  er  angiebt,  aber  doch  ist  es  anderseits  unzulässig  
 Alles  in’s  Bereich^der  Fabeln  zu  verweisen.  Ich  muss  diesen  Standpunkt  
 aufs  Neue  betonen,  da  hier  einer  Sitte  Erwähnung  zu  thun  ist,  
 welche  K o l b e n   mit  der  grössten  Ueberzeugungstreue  eines  Augenzeugen  
 beschreibt,  und  wobei  trotzdem  ein  grober  Irrthum  vorzuliegen  scheint.  
 Besonders  auffallend  wird  die  Angabe  aber  dadurch,  dass  die  alten  Autoren  
 vor K o l b e n   alle  über  die  factische  Existenz  der  Sitte  einig  gewesen  zu  sein  
 scheinen  und  sie  nur  verschieden  auslegten.  Es  ist  dies  nämlich  die  Behauptung, 
   dass  die Hottentotten  bei  dem Mannbarmachen  der Knaben  ihnen  
 den  linken  Hoden  herausschnitten  und  dieselben  erst  nach  der  Operation  
 von  Frauen  angenommen  würden. 
 Man  kann  nur  die  Vermuthung  äufstellen,  dass  die  Berichterstatter  
 helogen  wurden,  indem  die  Eingeborenen  ihnen  auf banden,  sie  schnitten  
 den  einen  Hoden  heraus,  während  sie  in  der  That  nur  die  Vorhaut  entfernten. 
   Die  längliche  Gestalt  des  Sero tum,  in  welchem  ein  Hode  in  der  
 Regel  viel  höher  liegt  als  der  andere,  vielleicht  überhaupt  die  Bauchhöhle  
 etwas  später  verlässt^  mochte  wohl  das  Ihrige  dazu  beitragen,  der  Fabel  
 Glauben  zu  verschaffen;  K o l b e n ’s   eigene Angabe,  dass  er  an  verschiedenen  
 Hottentottenknaben,  die  der Operation  bereits  einige  Zeit  früher  unterworfen  
 worden  waren,  kaum  im  Stande  gewesen  se i,  die  Narbe  zu  entdecken,