Wie könnte man auch berechtigt sein, aus dieser Frage einen nacht
e ilig en Schluss auf die Glaubwürdigkeit der heiligen Schrift zu machen,
deren symbolische Schöpfungsgeschichte nie mit den Lehren der Naturwissenschaft
in Streit ge ra ten kann, weil Beide von ganz verschiedenem
Standpunkte ausgehen. Ebenso wenig wie die kleinlichen Diener des
ertödtenden Buchstaben es vermocht haben durch Missbrauch der Bibel die
Wahrheiten eines G a l i l e i z u unterdrücken, werden sie im Stande sein die
Entdeckungen der Anthropologie zu widerlegen durch den Wortlaut eines
Buches, welches die höchsten göttlichen Wahrheiten, aber nicht ohne
menschliches Beiwerk, en tä lt.
Die Erschaffung oder das Auftreten des ersten Menschenpaares als des
Trägers einer Geistescultur, welche in zusammenhängendem Gange in die
historische Zeit hinüherführt, durfte wohl als ein Ereigniss von besonderer
Bedeutung hingestellt werden, im Vergleich mit dem muthmaasslichen Anfang
des physischen Menschen in vorhistorischen Perioden, dem wir uns
mit bedächtigem Schritt auf dem Wege der Forschung mehr und mehr zu
nähern suchen.
Hierbei haben wir keine bessere Führerin als die vergleichende Morphologie,
mit deren Hülfe jetzt durch eine ganze Reihe vom/tüchtigen
Männern der Jetztzeit, deren Namen die Geschichte der Nachwelt überliefern
wird, die Grundlagen geschaffen worden sind, 'auf welchen sich die
Anthropologie in neuem Glanze .erhebt. Indem sich nun täglich unsere
Kenntmss von Entwickelungsphasen des Menschen erweitert, welche für
immer m das tiefste Dunkel gehüllt erschienen, wird auf die unbestreitbarste
Weise der Vorwurf der Resultatlosigkeit von der Wissenschaft genommen.
Auch wo sich im Augenblicke die Erfolge der Forschung nicht so positiv
darstellen lassen, ist doch das nach wissenschaftlichem Plane verarbeitet^
und weiteren Kreisen z u g ä n g l i c h g em a c h te M a t e r ia l s c h o n an s ic h
R e s u l t a t ; denn Andere können daran anknüpfen und, indem sie ihre
Leistungen mit den früheren vereinigen* fugen sich dieselben zu einem
Ganzen, wie die einzelnen Steine zu'einem Baue. Soll man den Baustein
verwerfen, weil er noch kein Haus ist?
Während die eifrigsten und tüchtigsten unter den Gelehrten, welche
durch die ernsteste Arbeit und den äussersten Fleiss die Lösung der einschlägigen
Fragen anstreben, mit anerkennenswerther Zurückhaltung ihre
Resultate darstellen, fehlt es nicht an anderen, die sich Zwar keiner so
anhaltenden Beschäftigung mit dem Gegenstand rühmen können, aber dessenungeachtet
viel positiver und extremer in ihren Behauptungen sind. Man
darf vielleicht zugeben, dass den DARwiN’schen Theorien die Zukunft gehört,
und schon heute giebt es nur Wenige, die nicht von der Wichtigkeit der
durch den Engländer auf’s Neue angeregten Untersuchungen überzeugt sind;
aber wenn man sieht, in welch krasser Weise viele sanguinische Jünger
desselben die Ansichten ausdeh'nen, so muss man sich scheuen unter dieser
Fahne zu dienen.
Desshalb weil D a r w in nachgewiesen hat, dass die Species auf breitester
Grundlage variiren und viele für Species gehaltene Varietäten in
einander übergefuhrt werden können, dass ferner selbst manche Merkmale,
welche man zur Unterscheidung der Genera und Familien' für charakteristisch
hielt, nicht die vermuthete Constanz zeigen, ist der endgültige Beweis noch
lange nicht geführt, dass überhaupt Species nicht existirten. Hat doch
D a r w in selbst in Verzweiflung an der befriedigenden Lösung seiner Aufgabe
das erste Werk (On the Origin o f Species) trotz der Ueberzeugung, dass er
damit etwas Unheendetes liefere, im Hinweis auf ein später zu. veröffentlichendes,
Vollständigeres, publiciit, welches nun allerdings erschienen ist'
(On Domestikation etc.), aber im Wesentlichen nicht über das frühere
hinausgeht, im dritten aber (■Descent o f man) wird er sich selbst untreu,
indem er anfangt den Boden der naturwissenschaftlichen Beobachtung zu
verlassen und sich mit vollen Segeln von der Speculation treiben zu lassen.
Seine früheren Arbeiten verdienen um so grössere Anerkennung, als sie
trotz der bestechenden Thatsachen extreme Behauptungen nur unter der
vorsichtigsten Reserve gaben, indem der Autor darin gleichsam wie hinter
einem Schleier die Ziele andeutete, zu welchen der eingeschlagene Weg
hinzuführen schiene.
Wenn sich jemals das arabische Sprichwort: »Allah beschütze mich
vor meinen Freunden, vor meinen Feinden werde ich mich selbst beschützen«,
bewährt hat, so ist D a r w in in der Lage, es auf sich anzuwenden. Das
Traurigste dabei ist nämlich, dass die Renaissance-Naturphilosophen ihn
verleitet haben, sich ihnen rückhaltlos in die Arme zu werfen, und speculativ
alles das zu ergänzen, was seine bewunderungswürdigen Untersuchungen
nicht endgültig zu erledigen vermochten.
S& gewiss G o e t h e berechtigt war den urthümlichen Natur-Philosophen
zuzurufen; »Der Mensch der speculirt, ist wie ein Thier auf dürrer Haide,
von einem bösen Geist im Kreis herumgeführt«, so gewiss werden die Epigonen
derselben in ihren Erfolgen dürr und unfruchtbar bleiben, da sie von
der Ueberhebung ausgehen, unsere heutigen Untersuchungen hätten Sls
wissenschaftlich begründete Thatsaehe hingestellt, was doch immer noch
Theorie is t .'
Ich lebe mit einer grossen Anzahl Gesinnungsgenossen der festen
Ueberzeugung, dass es stets nicht nur »vereinzelte, vergilbte Exemplare, in
der Frage selbst völlig incoinpetenter Naturforscher, — wenn dieser Ausdruck
überhaupt hier Anwendung finden darf — die sich auf der Seite
des ungebildeten Vorurtheils am wohlsten fühlen« I)-»gfeben wird, sondern eine
*) Mit diesen gewählten Ausdrücken bezeichnet A. D o h r n diejenigen, welche für
extreme Behauptungen vollgültige Beweise verlangen. Vergl.. Ausland, Nr. 49.