Der unbefangene Beobachter pflegt, wenn nicht Messungen zu Hülfe
genommen werden, durch die übrigen Dimensionen in der Beurtheilung der
Grösse leicht irre geführt zu werden, worin zumal das Schlanke der Figuren
als ein einflussreiches Moment in Betracht zu ziehen ist. Auch rein äüsser-
liche Eigenthümlichkeiten, das Naturkostüm, die dunkle, fettglänzende Haut,
überhaupt das Neue, Ungewohnte des Anblicks scheinen den Eindruck auf
die Beschauer erhöht, und sie seihst da zu Uehertreibungen veranlasst zu
haben, wo die Absicht dazu nicht vorlag. Wenn man liest in wie hochtrabenden
Worten Viele von der Körperentwickelung, den athletischen Formen,
herculischen Muskeln im Vergleich mit europäischen Individuen
sprechen, so sollte man glauben, diese Autoren hätten sich ihre Anschauungen
anglogermanischer Körperformen auf den Schwimmschulen der Städte gebildet,
wo viel unentwickelte Knaben und verkommene Staatshaemorrhoidarii baden.
Sie sollten zur Verbesserung ihrer Vorstellungen einige Male die Militari:-
schwimmschulen besuchen, wo sie sich leicht überzeugen könnten, dass der
gesunde, normal entwickelte Germane, sowohl was die Proportionen als die
Kraft und Fülle der Formen anlangt, in der That den durchschnittlichen
Bau des zu den A-bantu gehörigen Mannes übertrifft. Wir pflegen wenig
Abbildungen männlicher Formen europäischer Race, zu sehen und die Unterschätzung
der Entwickelung ist daher eine
ziemlich allgemeine; einige nach, Photographien
ausgeführte Figuren, Kaffern
verschiedener Stämme darstellend, welche
hier angefügt sind, dürften in Folge
dessen bei vergleichender Betrachtung nicht
immer in demselben Sinne aufgefasst werden,
über gewisse Eigenthümlichkeiten der
Bildung wird man aber kaum in Zweifel
sein.
Zunächst erscheinen die Figuren^ nicht
nur schlank, sondern wie G r o ü t es ebenfalls
betont, in der That zu schlank,, was
hauptsächlich seinen Grund hat in dem
steilen, fast senkrechten Abfall der Thoraxwände
und dem geringen Hervortreten der
Hüften; (Vergl. Figg. 3, 4 , 5 etc;|| die
Schultern sind ziemlich breit, aber unschön
: Figifi Zulu aus Natai. abstehend und es fehlt so jene eigenthümliche,
etwas dreieckige Form des Rumpfes,
welche ein Merkmal des kräftig entwickelten Mannes europäischer Race
ist, und die an jeder Herculesfigur trotz der gleichzeitigen Körperfülle noch
deutlich zu sehen ist. An schlanken Personen fällt diese Bildung aber
ganz besonders in die Augen und giebt denselben den Ausdruck der
«
Gewandtheit verbunden mit Kraft, welcher edlen Racen eigen zu sei
pflegt1).
Ich habe derartige Figuren unter den
A-bantu nur ausnahmsweise bemerkt, keine
der Photographien, welche ich besitze, zeigt
eine solche, wohl aber L iv in g s t o n e ’s 2)
Abbildung »Vorstellung zweier junger Löwenjäger
am Hofe zu Mosilikatze« (besonders
die aufrecht stehende Person mit ausgestreckter
Hand) , ein neuer Beweis der
allerdings auch so notorischen Thatsache,
dass keine oder nur mangelhafte Originalskizzen
seinen Darstellungen zu Grunde
liegen. Die fragliche, nur beim Manne
auftretende Bildung ist auch auf einer
anderen Tafel: »Bakalahari-YxüMeii füllen
ihre Eierschalen etc.« an der stehenden
weiblichen Figur linker Hand zu bemerken
, doch ist die ganze Darstellung der ° ° Fig. 4. Zulu ans Natal.
betreffenden Gruppe so utrirt. und absurd,
dass es sich nicht der Mühe verlohnt, weiter
darauf einzugehen.
Die allmälige Verbreiterung des Rumpfes
nach den Schultern hängt natürgemäss ab
von dem Durchmesser des Brustkorbes, aber
ausserdem von der Entwickelung der Thorax—
muskeln zumal des Pectoralis major und Latissi-
onus dorsi, von denen der erstere wenigstens
durchschnittlich nicht so stark zu sein scheint,
als bei den Anglo-Germanen. Dadurch geschieht
es, dass der Arm etwa 4—5 CM. unterhalb des
Acromion sich auffallend veijüngt und der Bi-
ceps scharf und massig vom Deltoideus abgesetzt
erscheint, ohne übermässig stark zu sein (siehe
Abb. Fig. 5); vielleicht betheiligt sich auch
der Coracorbrachialis durch seine geringe Ausbildung
an der Veijüngung.
Während der Oberarm bei einer grösseren
Zahl von Individuen doch noch ziemlich
kräftig entwickelt genannt werden kann, sind , Fig‘5*
) au°h bei den semitischen Völkern sehr deutlich hervortretend. V.
2) Missionsreisen und Forschungen in Süd-Afrika.