Alle Rechte Vorbehalten.
Druck von C a r l H em b o l d , H e i l b
Einleitung.
Die erste Frage, welche bei der Planlegung einer jeden zielbewußten Untersuchung
an uns herantritt, ist selbstverständlich, welche Probleme auf Grundlage des zur Zeit disponiblen
Tatsachenmaterials gelöst werden können, welche nicht.
In dem vorigen Teile dieser Untersuchungsreihe hoffe ich nachgewiesen zu haben,
daß die Familie der Erinaceidae uns ein Bild von den einzelnen Etappen eines historischen
Entwicklungsganges vor Augen führt, für dessen Verständnis keine hypothetische Zutaten
erforderlich sind. Eine solche Aufgabe vermag allerdings das Tatsachenmaterial, welches
von den uns :in dieser Arbeit beschäftigenden Insectivorenfamilien, den C e n t e t id a e ,
S o le n o d o n t id a e und C h r y s o c h lo r id a e , heute vorliegt, nicht zu lösen. Die im eigentlichsten
Sinne historische Disziplin der Biologie, die Paläontologie, läßt uns nämlich, wie
unten gezeigt werden soll, bezüglich dieser Familien gänzlich im Stiche; auch Tierformen,
welche uns über die genetischen Beziehungen derselben zu anderen lebenden und fossilen
Säugern Aufschluß geben könnten, kennt man zur Zeit nicht. Für eine Stammesgeschichte
der besagten Formen fehlen somit noch die wesentlichsten Voraussetzungen. Als Illustrationen
des genealogischen Zusammenhanges der Lebewesen lassen sich somit diese Tierfamilien
nicht in demselben Sinne wie die Erinaceidae verwerten.
Sehen wir indessen das vornehmste Ziel der biologischen Forschung nicht in der
Förderung unserer Kenntnisse des phyletischen Zusammenhanges möglichst v ie l e r Tierformen,
sondern in der Vertiefung unserer Einsicht des organischen Werdens und Geschehens;;
dann darf allerdings das Studium der fraglichen Tiergruppen, wie ich in vorliegender
Arbeit nachweisen zu können hoffe, als im hohen Maße fördernd bezeichnet werden.
Zunächst haben — um schon hier zum Belege dieser Behauptung einige Punkte
anzudeuten — die Centetidae, Chrysochloridae und Solenodontidae sich seit lange einer Art
Berühmtheit zu erfreuen gehabt, weil unter allen lebenden Säugern ein Teil ihres Zahn-
Systems am meisten demjenigen der ältesten, der mesozoischen Säugetiere ähnelt; man
kann also erwarten, daß eine vergleichende Musterung ihres Gebisses Aufschluß über
Probleme von größerer Tragweite zu geben vermag. Ferner gewinnen wir durch das Studium
dieser Tiere einen bedeutungsvollen Einblick in Konvergenzerscheinungen von so weit-
und so eingehender Art, wie sie wenigstens unter den höheren Wirbeltieren sonst nirgends
Vorkommen. Daß einige dieser Tiergestalten ältere, ursprünglichere Eigenschaften als alle
anderen Eutheria äufweisen, erhöht die Bedeutung ihrer Bekanntschaft. Schließlich sei
hier noch auf das zoogeographische Interesse, welches sich an die Centetidae knüpft, hin-
Zoologica. H e ft 49. 1
M o t i v i e r u n g
d e r
v o r l i e g e n d e n
U n t e r suchung.