getragen, zu den natürlichen Gruppen und lassen in der Stellung zueinander ihre phylogenetischen
Beziehungen einigermaßen erkennen.
Zum Schluß möge noch bemerkt werden, daß eine entsprechende Untersuchung der
Zungenmuskulatur der Picumnen, die leider durch die Seltenheit des Materials erschwert
ist, nicht nur interessante Hinweise auf die Stammesgeschichte der Spechte bieten, sondern
vor allem noch manchen Aufschluß über die technische Entwicklung eines so merkwürdigen
organischen Apparates geben würde, wie es die Zunge der Spechte ist.
VII.
Es bleibt nun noch übrig, einiges über die Arbeiten früherer Autoren zu berichten,
die sich mit demselben Thema wie wir in der vorstehenden Arbeit beschäftigt haben; dabei
wird es uns nichts Unerwartetes sein, daß wir außer Arbeiten jüngerer Zeit, des vergangenen
Jahrhunderts etwa, welche wir bei unsern Studien unmittelbar berücksichtigten,
durch alle Zeiten naturgeschichtlicher Betätigung Werke und Abhandlungen finden, in denen
der Zungenapparat der Spechte in irgend einer Weise erwähnt oder selbst zum Gegenstand
genauerer Ausführungen gemacht ist. Denn ein durch Gestalt und Betragen so auffallender
Vogel wie der Specht, der zu jeder Zeit eine große Volkstümlichkeit besessen und Anlaß
zu mancherlei Sagen gegeben hat, mußte auch zu wissenschaftlicher Untersuchung
reizen, um so mehr, als er nicht, wie viele andere Märchenvögel, schwer oder gar nicht zu
erhalten war, und dabei mußte gerade die von dem gewöhnlichen Habitus abweichende
und in einer besonderen Weise benützte Zunge~als ein Objekt interessanter Studien auffallen.
Und diese erstrecken sich schon in den älteren Arbeiten nach verschiedenen Richtungen.
Man beschränkte sich nicht auf bloß beschreibend-anatomische Untersuchungen mit Messer
und Schere. Die Zunge, in der man nicht nur ein Organ der Verarbeitung, sondern auch
des Erwerbs der Nahrung erkannte, wurde in Gestalt und Konstruktion zur Lebensweise
des Spechts in Beziehung gesetzt und die Art und Weise ihres Gebrauchs mit in den Bereich
der Studien gezogen; dabei wurde sie auch im Zusammenhang mit den übrigen Organen,
die in ihrer Ausbildung den Specht als Kletterer und Hacker kennzeichnen, biologisch
betrachtet. Auch mit ähnlich gebildeten Organen fernstehender Tiere wurde sie
verglichen, wobei besonders häufig an die Zunge des Chamaeleons erinnert wurde. Endlich
wurde der Mechanismus des Apparats auf Grund der anatomischen Befunde physikalisch zu
erklären versucht.
Es seien nun aus der großen Zahl der Arbeiten die wichtigsten und interessantesten
in historischer Folge angeführt.
A r i s t o t e l e s kennt die Familie der Spechte recht genau und unterscheidet verschiedene
Gattungen, in denen wir nach seinen Beschreibungen die G r ü n sp e c h te (VIII.
3* P- 593a 81), den S c h w a r z s p e c h t und zwei Arten der B u n t s p e c h t e erkennen (IX. 9.
p. 614b. 7 ff.)? die wohl meclius und major (oder lilfordi) sind. Auch der W e n d e h a ls ist
ihm ¿bekannt, und für diesen führt er als charakteristische Merkmale den Kletterfuß und die
4 Zoll weit vorstreckbare Zunge an; „ öfiolav xolg öq>eoiv“ nennt er sie (II. 12. p. 5°4 a- *4)-
Zitate nach der akad. Ausg. (2).
Wenn man gesehen hat, wie der Buntspecht (und wie dieser wohl auch der Wendehals)
ganz nach Art der Schlangen „züngeln“ kann, um seine Beute zu betasten, so wird man
den Vergleich weniger auf die Gestalt der Zunge, als auf die eigentümliche Art ihres Gebrauchs
beziehen und ihn ganz treffend finden.
Auch über die Zunge der eigentlichen Spechte finden wir bei A r i s to t e le s eine Angabe.
Die Stelle (IX. 9.. j>. 614a. 35) mag hier folgen:
„Könxet de rag ÖQvg [ö ÖQvoxoXdjixrjg\ axzoX-fjxcov xai oxvmwv dvexev, iv’ ¿¡giojoiv. dvaXiyexai
yag ¿^eXd'övzag avxovg xfj yXdtxxjj' nXaxeiav ö’ £%ei xai fieydXt]^.“
Der Name ÖQvoxoXdnxrjg faßt, wie aus seinen folgenden Angaben hervorgeht, den
Schwarz- und die Buntspechte zusammen. Unklar ist bei der Kennzeichnung der Zunge das
Epitheton nXaxeiav,:*Jas nicht nur in der akademischen Ausgabe des A r i s t o t e l e s , sondern,
wie es scheint, in allen dieser zugrund gelegten Handschriften steht. Dieses Wort ist in
keiner geeigneten Weise zu übersetzen, und wenn auch S c h n e id e r (l)1 den Versuch gemacht
hat, es beizubehalten und zu erklären* so: erscheint dieser doch recht gezwungen.
Eher dürfte man vermuten, daß ein alter Schreibfehler die? Ursache der Unklarheit ist.
Wie mir Herr Professor B o ll in Würzburg, dem ich für sein freundliches Entgegenkommen
herzlich danke, vom philologischen Standpunkte aus bestätigt, könnte dieses nXaxelav handschriftlich
sehr wohl aus nayjeiav entstanden sein2; und dieses Wort, das „dick“ oder
„fleischig“ bedeutet, dürfte in den Sinn der Stelle wohl passen. Denn die beiden die Zunge
bezeichnenden Epitheta erklären, wie der Zusammenhang des Textes in obigem Zitat ergibt,
die Befähigung der Spechtzunge zum Insektenfang. Sie bezeichnen Eigenschaften, die die
Spechte vor ändern Vögeln auszeichnen, die nicht mit der Zunge Holzwürmer fangen können.
Und in diesem Zusammenhang paßt nayjeiav > das wir mit „fleischig“ übersetzen, sehr gut,
da in der Tat die Spechtzunge im Gegensatz zu der harten, verhornten Zunge der meisten
übrigen Vögel durch ihre Dehnbarkeit und Beweglichkeit einen muskulösen Eindruck macht.
Nach langer wissenschaftlicher Ruhe finden wir im Mittelalter bei A lb e r tu s M a gn u s
(3) die ersten Angaben über die Beschaffenheit der Spechtzunge, indem er in seinem Opus
de A n im a lib u s Lib. II cap. 6 bei der Besprechung der verschiedenen Arten der Vogelzungen
von Vögeln spricht, die eine „compositam linguam“ besitzen, „retro ex carne et ante
ex cornu acutissimo sicut p icu s n ig e r , qui infigit linguam in lignum et pungendo extrahit
vermes sive teredines ligni ad cibum.“ Also auch A lb e r tu s nennt die Spechtzunge fleischig.
Interessant ist, daß schon dieser Autor wie viele Seiner Nachfolger die wohl schwerlich auf
eigener Beobachtung beruhende, aber wahrscheinlich doch richtige Bemerkung macht, daß
die Spechte imstande sind, Käferlarven mit der Zunge aufzuspießen. Weiter sagt A lb e r tu s
nichts über die Zunge der Spechte; nur in Lib. XXIII berichtet er, die Spechte könnten
sprechen, was ihm aber bereits A ld ro v a n d i'(4 ) als eine Verwechslung mit P ica nachweist.
Die erste auf eigene Untersuchung gegründete Bemerkung über die Spechtzunge, die
nicht nur die äußere Erscheinung betrifft, finden wir bei K o n r a d G e s sn e r . In seinem
V o g e lb u c h stehen unter den „Vögeln, welcher Namen am Buchstaben S anheben“ , beim
1 Bd. IV, p. 70: „a t picorum genus latam linguam non habet, sed potius longam . . . . nisi forte Iinguae formam
spectavit Philosophus, dum eontracta e t veluti collecta maior et latior in gutture intus apparet.“
* H u b e r (22 pag. 6) zitiert na%elav, vermag es aber nicht zu erklären. Wie e r zu dieser Le sart gekommen ist,
weiß ich nicht, da ich sie in keiner Ausgabe des Aristoteles und in keinem älteren Zitat fand.