C h i r o p t e r a .
A l l g e m e i n e r
C h a r a k t e r
d e r S ä u g e t
i e r f a u n a
M a d a g a s k a r s .
Auch die Mehrzahl der F 1 e d e r in ä u s e gehören Gattungen an, die auch anderweitig
angetroffen sind. Einige dieser Gattungen (Miniopterus, Nyctinomus)- haben eine
weltweite Ausbreitung und können deshalb kein Charakteristikum für die madagassische
Fauna abgeben. Aus dem Vorkommen anderer zieht Dobson (84) den Schlußsatz, daß eine
Inselkette einstmal Madagaskar mit Australien verbunden hat, sowie ferner, daß in einer
späteren Periode erstgenannte Insel auch mit Indien in ähnlicher Verbindung gestanden
hat Verbindungen, welche wohl fliegenden, aber keinen nicht-fliegenden Säugern einzuwandern
gestatteten. Nur e in e Fledermaus, M y zo p o d a a u r i ta , eine durchaus eigenartig
differenzierte Form, k t Madagaskar durchaus eigentümlich. Nähere Beziehungen zu
anderen bekannten Fledermäusen scheint sie nicht zu haben.1
Halten wir bei der Beurteilung der Säugetiere Madagaskars den T y p u s und den
A u s b i ld u n g s g r a d 2 scharf auseinander, so läßt sich nicht verkennen, daß, während der
Ausbildungsgrad der Madagaskar-Säuger teilweise ein recht hoher ist, d ie s e lb e n n u r die
n ie d e r e n T y p e n d er b e t r e f f e n d e n G ru p p e n r e p r ä s e n t ie r e n . So kommen von
den Primates nur Prosimiae, von den Carnivora nur Viverridae, von den Muridae die
Nesomyinae vor --- somit die niederen, primitiven Typen jeder Gruppe resp. Ordnung;
und falls die Resultate, zu denen uns die Untersuchungen über die Backenzähne geführt
haben-*; - stichhaltig sind, gilt dasselbe für die Vertreter der Insectivoren auf Madagaskar,
für die Centetidae. In Bezug auf die Prosimiae können wir, wie oben nachgewiesen,
noch weiter gehen:, die madagassischen Prosimiae, die Lemuridae, stellen den ältesten
Typus dieser Gruppe dar.
In diesem Zusammenhänge mag erwähnt werden, daß nach Kolbe bei den
K ä fe rn eine Parallelerseheinung vorliegt. Von den Heteromeren sind nämlich nur die
niederen Formen auf Madagaskar vorhanden. Die Toxotinen, welche laut dem genannten
Autor zu den niedrigsten Formen der Longicornier gehören, sind besonders formen- und
artenreich auf Madagaskar. Vielleicht ließen sich auch aus anderen Tiergruppen entsprechende
Erscheinungen anführen. Da aber die verschiedenen Tierklassen zum Teil sehr
verschiedene Verbreitungsmöglichkeiten und -mittel darbieten - 9 ganz abgesehen davon,
daß die verschiedenen Tierklassen zu verschiedenen geologischen Perioden entstanden
sind — sind die zoogeographkchen Befunde bei der einen nicht ohne weiteres auf dieselbe
Weise wie bei der anderen zu beurteilen, weshalb wir sie hier unberücksichtigt lassen können.
In zoogeographischer Hinsicht ergibt die obige Übersicht folgendes. Wenn wir, wie
dies allgemein geschieht, annehmen dürfen, daß Potamochoerus, Hippopotamus und Croci-
dura nach Madagaskar eingewandert sind, nachdem es bereits zur Insel geworden, so g e 1
Vergleiche Thomas (04).
E s sei auch erwähnt, daß im Pleistocän Madagaskars ein Schädelrest gefunden ist, von dem Filhql annimmt, daß
e r möglicherweise von einem mit Orycteropus verwandten T ie re (F les io ryd e rop u s) herstammen könne. .
Der Oberschenkel, ebenfalls aus dem Pleistocän Madagaskars, welcher nach G. Grandidier einem Bradypus-
artigen Edentaten (Bradytherium) angehören soll, stammt nach Ameghino wahrscheinlich von einem großen Lemuriden.
In Bezug au f den Hippopotamus und Potamochoerus von Madagaskar verweise ich au f die Auslegungen bei
Lydekke r.
* Mit einer leichten Umwertung- der v , Baer’schen Begriffe können wir als T y p u s die genetisch zusammenhängende
Organismenreihe vom A u s b i l d u n g s g r a d e , welcher durch das größere oder geringere Maß der morphologischen
Differenzierung bestimmt wird, unterscheiden.
3 Siehe oben pag. 53.
hören a l le n ic h t - f l ie g e n d e n m a d a g a s s is c h e n S ä u g e t ie r e G a t tu n g e n und —
mit Ausnahme von Fossa auch — U n t e r fam il ie n und F am ilie n an, d ie so n s t nir gen
d s Vorkommen.1 Ferner läßt sich wohl kaum in Abrede stellen, daß die madagassischen
Säuger noch am meisten mit solchen des afrikanischen Kontinents übereinstimmen.
Für die Centetidae wird dies besonders durch das Vorkommen der unzweifelhaften zu dieser
Famüie gehörenden Potamogale bewiesen.2 Auch die nächsten lebenden Verwandten
der Lemuridae, nämlich die Galaginae, sind Afrikaner.
Ziehen wir zum Vergleich eine andere Wirbeltiergruppe heran, nämlich die S a u r i i,
so gestaltet sich die Sache etwas anders. Nach Boulenger gehört keine einzige Familie
Madagaskar allein anjaflünd von den 15 dort vertretenen Gattungen sind nur 7 dieser Insel
eigentümlich, während die übrigen 8 teils auch in Afrika vertreten, teils kosmopolitisch
sind.® Die Saurierfauna Madagaskars ist somit viel weniger eigentümlich als die der
Säugetiere.
Um die Frage nach der Herkunft der Säugetierwelt Madagaskars beantworten zu
können, müssen wir natürlich berücksichtigen, wie es faktisch mit unserer Kenntnis betreffs
der früheren Schicksale dieser Insel bestellt ist.
Ziemlich allgemein dürfte jetzt die auf r e in g e o lo g i s c h e n Gründen gestützte Annahme
acceptiert werden, 1) daß während der Jurazeit Südafrika, Madagaskar, Ceylon und
Indien durch Festland verbunden wurde, 2} daß Afrika einstmals ebenfalls mit Brasilien
vereinigt war.4
Dagegen steht unsere Kenntnis von dem Zeitpunkte, in dem Madagaskar zur Insel
wurde, und somit der Invasion der meisten nicht-fliegenden Landsäuger ein Ziel gesetzt wurde,
noch auf recht schwachen Füßen. Neumayr schließt aus der Beschaffenheit der heutigen
Fauna Madagaskars und aus dem Fehlen aller „charakteristisch - äthiopischen Typen“ auf
Madagaskar, welch letztere „alle geologisch verhältnismäßig jung sind“ , daß „Madagaskar
zur Oligocänzeit noch in Verbindung mit anderen Festlandsmassen stand, dann aber bei
Beginn der Miocänzeit zur Insel wurde“ .
Lydekker (pag. 223) spricht sich hierüber folgendermaßen aus: „Now, so far as can
be determined, none of the european oligocene lemurids are referable to the family Lemuridae
; and since both the ethiopian and malgasy representations of the subfamily Galaginae
resemble on another in the pecular structure of the ankle, or tarsus, it is pretty
evident that not only was the family, but likewise the subfamily differentiated before the
separation of Madagascar. Allowing time for the southward migration of the oligocene
lemuroids and civets, and the modification of the former into the Galaginae, it seems impossible
to put the separation at an earlier date than the upper oligocene, while it might
well be miocene.“ Ganz abgesehen davon, daß Lydekker von der völlig verfehlten älteren
Auffassung ausgeht, nach welcher die afrikanischen Galaginae und die madagassischen
Halbaffen demselben Typus ängehören sollten5, ist seine ganze Argumentation auf völlig
1 Über Potamogale siehe oben pag. 127— 129.
* Über die Beziehungen zwischen Centetidae und Chrysochloridae siehe im folgenden.
* Als bemerkenswert is t ja schon seit lange das Auftreten von zwei Iguaniden (Hoplurus und Chalarodon), einer
fast nur amerikanische Formen enthaltenden Familie, auf Madagaskar hervorgehoben worden. Hier mag daran erinnert
werden, daß die Schildkrötenfamilie Pelomedusidae außer in Afrika nur au f Madagaskar und in Südamerika vorkommt.
* Vergleiche Neumayr pag. 333.
6 Vergleiche hierüber oben pag. 133— 134.
Zoologlca. Heft 19. 1 8
W a s w i s s e n
w i r v o n d e n
f r ü h e r e n
S c h i c k s a l e n
Mada-
g a s k a r s ?