lichkeit oder Unähnlichkeit, und kann es nicht anders. Morphologische Ähnlichkeit aber
gibt nur unvollkommen Aufschluß über den phylogenetischen Zusammenhang. Auch das
scheinbar natürlichste System kann daher keineswegs ein untrügliches Bild des wirklichen
phylogenetischen Zusammenhangs geben.
Wenn wir nun dazu übergehen, vpn den hier entwickelten Gesichtspunkten aus die
aus den früheren Untersuchungen gewonnenen anatomischen Befunde zu betrachten, so
sei zunächst daran erinnert, daß im Abschnitt IV mehrfach auf die große Ähnlichkeit im
Bau der Zunge der Picidae mit der der Gerthiidae hingewiesen wurde. Wir fanden so
nahe Beziehungen in der technischen Konstruktion beider Apparate zueinander, daß wir in
vielen. Punkten geradenwegs die komplizertere Anatomie der Spechtzunge aus den einfacheren
Verhältnissen ableiten und verstehen konnten, die wir bei den in dieser Beziehung weniger
extrem, aber in derselben Richtung entwickelten Gattungen Sitta und Certhia vorfandeit.
Die Übereinstimmung ging oft überraschend weit in Einzelheiten hinein, und zwar immer
sb, daß der durch die beiden Certhiidae vertretene Typus als der ältere erschien, der dem
extremen der Spechte tatsächlich einmal vorhergegangen seih muß. Sb stellt eine Pinselzunge,
wie die von Certhia, durch den Besitz zarter vorwärts gerichteter Börsten und hier
freilich noch kleiner, nach hinten gerichteter Widerhaken, eine Form dar, aus der sieh ohne
Schwierigkeit die Zunge des Buntspechts ableiten läßt, und in der Tat scheint Sphyra-
picus nach der Beschreibung von L u c a s (26' pag. 37 und 28 pag. 1012) ' eine Zunge zu
besitzen, welche- diese beiden Typen morphologisch verbindet. Von der inneren Anatomie
erinnere ich an den musc. trachealis von Certhia, dessen Insertion in der Kehlgegend einer:
seits in ihren Beziehungen zur allgemeinen Anatomie der Vögel leicht zu verstehen war,
andererseits alle Einzelheiten der drei Insertionen "des entsprechenden Muskels beim Bu ntspecht
andeutungsweise besaß und damit durch ein lebendes Beispiel deutlich illustrierte,
auf welche Weise die drei Köpfe des Muskels sich gebildet und angeordnet haben. Auch
vermochten wir dadurch, daß wir bei Certhia das Verhältnis des müsse, trachealis zum musc:
tracheo-hyoideus untersuchten, die Stellung des musc. tracheo-hyoideus im System der
Zuhgenmuskeln beim Specht zu bestimmen. Ferner fanden wir bei den Certhiiden eine hohe
Entwicklung der Tastnervatur in der Zungenspitze und zwar bis in kleinste anatomische
Einzelheiten in derselben Richtung, wie sie bei den Spechten zu noch höherer Ausbildung
weitergeführt wurde. ,
Wir fragten damals nicht, ob diese ' vergleichend -anatomischen Befunde auf eine
nähere Verwandtschaft der beiden Familien hinwiesen, wir verwendeten sie nur, um die
Anatomie der Spechtzünge durch andere anatomische Beispiele verstehen und ihr Zustandekommen
uns erklären- zu können. Erwägt man nun die große morphologische Ähnlichkeit
beider Zungen und den Umstand, daß in allen angeführten Beziehungen die der Certhiiden
einen weniger weit entwickelten Zustand darstellt, als die der Spechte, so könnte man in
der Tat geneigt sein, engere phylogenetische Beziehungen zwischen den beiden Familien zu
vermuten, wenn uns nicht, abgesehen von der übrigen Anatomie, ein Teil der Zungen-
muskulatur selbst darauf hinwiese; daß die beiden Zungenapparate sich durchaus unabhängig
voneinander aus dem indifferenten Zustand heraus entwickelt haben, den. wir hypothetisch
für ,die Zunge der Pico-Passeres (F ü r b r i.n g e r ) ' annehmen, — und das ist die Syrinx-
mu’skulätur. Die. Certhiiden besitzen bekanntlich eine hoch entwickelte Syrinx; wir können
daher mit großer Wahrscheinlichkeit, wenn auch nicht mit absoluter Sicherheit sagen, daß
sie mit vielen anderen Familien von Formen abstammen, die schon eine Singmuskulatur besaßen.
Da alle anderen Familien der Singvögel eine Zunge besitzen, die sich nicht in der
von Certhia eingeschlagenen Richtung entwickelt hat, so 'muß auch die gemeinsame Stammform
eine einfache Zunge besessen haben. Die Spechte mit ihrer ganz primitiven Syrinx
haben sich zweifellos, unterhalb dès Ausgangspunktes aller ©seines abgezweigt. Bei den
Certhiiden muß. sich also entweder die Syrinx oder die Zunge unabhängig von den gleich
gebauten Organen anderer Familien entwickelt haben. Die Morphologie stellt bekanntlich
die Certhiiden mit den Singvögeln züsammen, während ■ die Lebensweise eine selbständige
Entwicklung ihrer Zunge wohl erklärlich macht. Ob nun Syrinx oder Zunge von Certhia
eine selbständige Bildung ist, eines dieser beiden Organe gibt uns ein Beispiel hoher Kon-
yergenz auf morphologisch durchaus gleichen Grundlagen. Wie hier eine solche zwischen
zwei ferner stehenden Familien herzustellen ist, so werden wir auch im engeren Verbände
der Familie der Bicidae zwischen den einzelnen Arten ähnliche Konvergenzen erwarten,
auf Grund deren wir gezwungen sind, die Arten öfter nebeneinander als hintereinander an-
zuofdnen.
Wenn wir nun versuchen, eine siéjche Ordnung herzustellen, so sei zunächst bèmerkt,
daß hierfür auch die äußere Gestalt der Zunge, besonders ihre Länge, ein gewisses Hilfsmittel
ist; denn wir werden im allgemeinen annehmen dürfen, daß die Formen mit langen
Zungen die relativ extremsten, also jüngsten sind, nur müssen wir uns davor hüten, daraus
auf die Abhängigkeit zweier Arten voneinander zu schließen.
In den Abschnitten über die Anatomie der Zunge wurde major als Typus der Spechte
gewählt und die Anatomie der übrigen von ihm abgeleitet. Wir stellen ihn auch jetzt
wenigstens von allen in dieser Arbeit behandelten europäischen Spechten als die am wenigsten
entwickelte Form an die tiefste Stelle. Seine Zunge ist von allen hier behandelten Formen
relativ die kürzeste, ihre Muskulatur im allgemeinen die verhältnismäßig einfachste, auch
weist der Umstand, daß sein musc. trachealis noch die ursprünglichen drei Köpfe besitzt, die
er mit manchen Passeres (Certhia) gemeinsam hat, auf seine tiëfe Stellung hin.
Minor stimmt in allen wesentlichen Punkten mit major überein ; vielleicht dürfte
seine Zunge verhältnismäßig etwas länger sein. Wir stellen ihn also etwas über major, in
dessen unmittelbare Nähe; genauer wollen wir ihm gleich nächher seinen Platz anweisen.
Auch martius unterscheidet sich wenig von major. Seine längere Zunge aber kennzeichnet
ihn als eine weiter entwickelte Form. Die Hörner reichen weiter nach vorn und
auch der tracheö-hyoideus muß infolgedessen länger sein. Trotzdem unterscheidet sich dieser
Muskel wenig von dem des großen Buntspechts; die Art seineriDurchflechtung ist dieselbe,
nur liegen. seine Insertionen mehr an den Seiten der Trachea. Auch im übrigen zeigt
martius keine wesentlichen Unterschiede von major, nur besitzt er eine ihm 'allein zukommende
Insertions weise des musc. geniö-thyreöideus. Abgesehen von diesem wohl unwichtigen
Unterschied können wir also seine Zungenmuskulätur durch Verlängerung der
Zunge aus der' von major ableiten. Die übrigen Verschiedenheiten dés Baues von martius
dem großen Buntspecht'gegenüber sind wohl im wesentlichen auf eine noch mehr gesteigerte
Kletter- und Hacktätigkeit zurückzuführen, und wir können dahër den Schwàrzspècht in 'g e rader
Linie, über den großen Buntspecht an eine seiner Zungenlänge entsprechende Stelle