M a jo r s
A u f f a s s u n g
d e s M o l a r s
b e i
C e n t e t i d a e
u n d C h r y -
s o c h l o r i d a e .
Scott hat, gestützt auf reiche paläontologische Befunde, nachzuweisen versucht, daß die
Stellung der Elemente der Prämolaren nicht derjenigen für die Molaren angenommene entspricht.
Als eine Konsequenz dieser Auffassung kommt er zu dem Schlußsatze, daß selbst
in dem P4, welcher vollkommen den gleichen Bau wie M_i hat, die einzelnen Elemente
(Osborns Protoconus ausgenommen) in IM und Mj_ einander nicht homolog, sondern
verschiedenen Ursprungs sind. Nur seine Überzeugung von der Allgemeingültigkeit der Os-
bornschen Homologisierungen konnten Scott zu dieser überraschenden Auffassung zwingen.
Durch den hier gelieferten Nachweis, daß die Osbornsche Deutung nicht für alle Fälle gilt,
kommt alleidings dieses Motiv in Wegfall. Aber auch abgesehen hiervon und abgesehen
von dem oben nachgewiesenen, Schritt für Schritt erfolgenden Übergang zwischen Prämolaren
und Molaren führt Scotts Deutung auch von allgemein morphologischem Gesichtspunkte aus
zu unannehmbaren Konsequenzen. Wie das Studium des Zahnsystems aller Wirbeltiere lehrt
und wie oben1 in besonderen I* ällen nachgewiesen worden, wird die Entstehung und Ausbildung
der verschiedenen Zahnarten durch ihre Stellung im Kiefer, resp. durch die mechanischen
Faktoren, welche auf die einzelnen Zähne einwirken, reguliert. Nimmt man aber
Scotts Deutung an, so folgt daraus, daß d i e s e lb e n mechanischen Faktoren in v e r s
c h ie d e n e r Weise auf einen Zahn einwirken sollten, je nachdem derselbe einen Vorgänger
in der Milchdentition hat, also ein Prämolar ist, oder ihm ein solcher fehlt, d. h. ein Molar
ist; also Zähne mit demselben Inhalte und mit Elementen, welche sich vergleichend-anatomisch
und ontogenetisch vollkommen gleich verhalten, wie z. B. P4 und M i bei Ericülus
sollen nach Scott aus nicht homologen Elementen entstanden seinl Bei mehreren der uns
beschäftigenden Arten sind alle Übergänge von der einen Zahnart in clie andere vorhanden,
und es ist somit ohne Kenntnis des Zahnwechsels vollkommen unmöglich, zu bestimmen,
mit welchem Zahne die Antemolaren aufhören. Wir konnten uns somit auch an diesen
Zahnreihen von der Identität der Zahnelemente bei den verschiedenen Zahnarten überzeugen.
Ferner muß es den, wie ich glaube, recht zahlreichen Anhängern der Ansicht,
daß die Molaren der Milchdentition angehören, doch auffallend erscheinen, daß der bei der
großen Mehrzahl der Säugetiere durchaus molariforme letzte Prämolar der Milchdentition,
nämlich Pd4, nach Scott nicht wie die Molaren, sondern wie derjenige der Ersatzdentition,
nämlich wie der oft abweichend gebaute P4, beschaffen sein soll. Gehen wir dagegen
davon aus, daß der Platz im Kiefer die Form des Zahnes bestimmt, dann ist es nicht nur
erklärlich, weshalb Pd4 oft im Gegensatz zu P4 vollkommen molariform ist, sondern auch
weshalb ein Prämolar, welcher bei einer Art eine Lage hat, die bei einer verwandten Art
von einem Molaren eingenommen wird, identisch denselben Bau wie dieser haben muß.
Scotts Annahme dagegen dürfte mit diesen Tatsachen unvereinbar sein.
Schließlich habe ich hier noch einer von Major in seiner im Obigen schon mehrfach
herangezogenen Arbeit (97) vertretenen Auffassung betreffs des Baues der Molaren
der uns speziell beschäftigenden .Tiere zu gedenken. Während Woodward ',(96) den
oberen Molar der Centetidae und Chrysochloridae mit dem „vorderen Trigon“ (dem ,,Para-
con-Dreieck“) der Talpidae homologisiert, kommt Major zu dem Resultate, daß der trituber-
kulare obere Molar dieser Tiere kein primitives Gebilde, sondern das Resultat einer Rück-
Siehe oben pag. 43.
bildung ist; daß somit bei Centetidae (Solenodontidae und Chrysochloridae) die Hauptspitze
aus einer Verschmelzung von bei den übrigen Insectivoren vorkommenden zwei Spitzen (Osborns
Paraconus und Metaconus) hervorgegangen ist, während die Außenwand bei allen dieselben
Elemente enthält. Majors Beweisführung gründet sich vornehmlich teils auf einigen
von Osborn (93) beschriebenen Zähnen aus der oberen Kreideformation, teils auf die Beschaffenheit
der Molaren bei Potamogale und Oryzorictes.
Niemand kann die Bedeutung der paläontologischen Funde als Leiter bei stammesgeschichtlichen
Forschungen höher anschlagen als ich. Das von Majór für die Beurteilung
der Centetiden-Molaren herangezogene Material aber besteht aus einigen isolierten Zähnen,
von deren einstigen Inhaber wir zur Zeit nicht einmal wissen, zu welcher O r d n u n g der
Säuger gehört, ob er Beuteltier, Creodont oder Insektivore ist — ihr Beschreiber hat der
Mehrzahl dieser Zähne nicht einmal einen Namen beigelegt I — , geschweige denn, daß wir
eine Ahnung davon haben, welche genealogischen Beziehungen zwischen den Besitzern jener
Zähne und den Centetidae bestehen. Legen wir hierzu, daß wir nichts von der Zusammensetzung
dieser fossilen Molaren wissen, so ist es wohl offenbar, daß die fraglichen fossilen
Reste in d ie sem Falle jeder Beweiskraft entbehren.
Durch Majors zweites Argument: das Vorkommen von sowohl „Paraconus“ und
„Metaconus“ bei Potamogale sowie die Andeutung des letzteren bei Oryzorictes, soll nach
ihm dargelegt werden, daß diese Teile bei den übrigen Centetidae verschmolzen sind, daß somit
I iere mit Zähnen wie Potamogale die Stammformen der übrigen Centetidae, Chrysochloridae
und Solenodontidae sind. Im Obigen1 ist aber nachgewiesen, daß der Bau der Molaren bei
Potamogale und Oryzorictes entschieden als eine e rw o rb e n e Eigenschaft, als ein F o r t s
ch i it t Microgale gegenüber aufzufassen ist und sicherlich ebensowenig etwas Primitives
bekundet wie die Beschaffenheit der vorderen Antemolaren der genannten Tiere, an denen
sich ebenfalls sekundäre Umbildungen nachweisen lassen.
So lange nicht für die Centetidae paläontologische Funde vorliegen, sondern wir für
die Beurteilung ihrer Descendenz ausschließlich auf die vergleichend-anatomischen und onto-
genetischen Instanzen angewiesen sind, kann meiner Ansicht nach allerdings nicht mit vollständiger
Sicherheit entschieden werden, ob die Molarform der Mehrzahl der heutigen Vertreter
der fraglichen Familie ursprünglich oder rückgebildet ist. Aber schon jetzt kann in
Bezug auf diese Frage festgestellt werden, 1) daß die von Major zu Gunsten der letzteren
Alternative angeführten Argumente teils (die Kreidefossilien) nicht beweisend, teils (Potamogale
und Oryzorictes) entschieden unrichtig sind'; 2) daß zur Zeit keine Tatsache vorliegt,
welche g e g e n die erstere Alternative (ihre Ursprünglichkeit) spricht; 3) daß die Molarform
bei Microgale etc. ursprünglicher ist als die bei Potamogale und Oryzorictes.
Der Aufbau der u n te r en M o la r en ist vollkommen eindeutig, weshalb sich auch Untere
die eben abgehandelten Fragen betreffs dieser viel einfacher gestalten,. Molaren.
Wenn wir von den Schneide- und Eckzähnen ausgehen, tritt zur Hauptspitze zunächst
die vordere und hintere Basalspitze hinzu, dann kommt bei den nicht einseitig umgebildeten
Formen am P3 oder P4, womit die Molaren übereinstimmen, die Innenspitze
zum Vorschein.
Vergi, pag. 45— 46-