Es ist natürlich nicht gesagt, daß hiermit alle Hunderassen, die die alten Ägypter hielten,
erschöpft sind. So kann ich z. B. den von Lortet und Gaillard in Fig. 5 abgebildeten Schädel in keiner
der hier angeführten Rassen unterbringen. Ferner haben die genannten Autoren in Fig. 8 einen-
Schädel abgebildet, der seiner Form nach außerordentliche Ähnlichkeit mit dem Schädel No. 2716
und 2714 hat, aber die Maße stimmen garnicht überein, da er viel kleiner ist. Es mag sich da um
verschiedene Schläge derselben Rasse handeln. Da ich, wie ich im folgenden zeigen werde, diese
Schädel mit Pariahhunden in Verbindung bringe, so ist es leicht denkbar, daß diese Hunde in einer
Stadt größer waren wie in der anderen. Ist so die Möglichkeit gegeben, daß noch mehr Hunderassen
im alten Ägypten existierten*) — eine weitere finden wir noch auf einer der nächsten Seiten erwähnt -flg
so muß man doch auch wieder bei Untersuchung der Mumien vorsichtig sein. Auf p. 46 habe ich
schon einen Mumienschädel beschrieben, der von N e h r i n g als Haushund (Canis fam. antiqu.)
angesprochen war, der aber in Wirklichkeit einem Schakal gehörte. Ein ähnlicher Irrtum ist auch
Lortet und Gaillard untergelaufen. Der in ihrer Fig. 4 dargestellte Schädel ist schon durch seine Formen
mit dem kräftigen Gebiß, besonders den starken Eckzähnen und den stark ausgebildeten Kämmen
und Muskelansätzen auffällig. Ich meine, wenn man durch längere Übung eingehender mit den
Formen der Hundeschädel vertraut ist, sieht man dieser Figur an, daß es sich um keinen Haushund
handeln kann. Und tatsächlich stimmt der Schädel sowohl in der Form sehr gut mit dem mir vorliegenden
Schädel von Canis sacer überein, besonders mit den von Schubra bei Kairo, als auch fügen
sich seine Maße so vorzüglich in den Rahmen dieses Schakals ein, daß er eben als zu C. sacer H. et E.
gehörig zu betrachten ist. Damit aber haben wir einen zweiten Schakal kennen gelernt, zu dem die
Ägypter Beziehungen hatten, und den sie mumifizierten. Diese Tatsachen legen die Frage nahe,
haben vielleicht die alten Ägypter jene Schakale gezähmt und dadurch ihre Haushunde gewonnen?
2. Geschichte de r altägyptischen Hunde.
Als ich mir die aus Mumien stammenden altägyptischen Hundeschädel von Herrn Prof. Pl at e
lieh, war ich der Hoffnung, jene Hunde möchten auf einem so primitiven Standpunkt stehen, daß man
ihre Herkunft noch leicht erkennen könnte. Hierin hatte ich mich jedoch arg getäuscht. Die Mehrzahl
der Schädel hat sich vielmehr schon so weit vom Naturzustände entfernt, daß wir über den
Ursprung der altägyptischen Hunderasse teilweise nur Vermutungen aussprechen können. Von
den beiden zuerst erwähnten Rassen ist schwer etwas zu sagen. Bei dem Schädel 2715 könnte man
eventuell auch noch an eine stark veränderte Form des C. pallipes denken. Bei dem Schädel 4571
ist leider der Hirnschädel durch anhangende Haut verdeckt. Manche Einzelheiten des Stirnfeldes,
der Form, der vor den F. infr. scharf abgesetzten Schnauze gemahnen, an den C. gallaensis, doch
möchte ich keine weiteren Schlüsse hieraus ziehen.
Über die Hundeschädel No. 2714 und 2716 läßt sich nur mit Gewißheit sagen, daß sie nicht
afrikanischer Herkunft sind. Ihrer Größe und Breite nach kämen ja nur C. sacer und C. doederleini
in Betracht. Gegen den ersteren spricht das flache, außerordentlich starke .Stirnfeld und das außerordentlich
kräftige Gebiß bei den Hunden, das z. B. in der Breite des Reißzahnes wie in der Länge
des Eckzahns die wilden Vorfahren übertreffen würde, (vgl. Tab. I und Tab. IV), was aber nach
unseren Erfahrungen als unwahrscheinlich anzusehen ist. Auch ist die Form des Hirnschädels eine
*) Anm.: Nach Bekmann „Geschichte und Beschreibung der Rassen des Hundes“ , Braunschweig 1894, scheinen
sich allein nach den altägyptischen Abbildungen 10 Hunderassen unterscheiden zu lassen.
ganz andere. Bei C. sacer ist er in der Gegend der Parietalia stark gewölbt, so daß die Decke breit
und flach erscheint, bei den vorliegenden Hunden dagegen ist die seitliche Wölbung der Parietalia
gering, so daß sich der Hirnschädel nach oben fast dachartig zuschärft. Annähernd dieselben Gründe
sprechen auch gegen den C. doederleini. Dagegen hätte sich doch sicher von der außerordentlichen
Entwicklung der Ohrblasen etwas bei seinen domestizierten Nachkommen erhalten. Auch die Stirn,
die ja bei C. doederleini bedeutend kräftiger ist als bei C. sacer, ist mit ihrer Erhöhung in der Gesamtheit
und starken Wölbung der stumpfen Postorbitalia anders entwickelt. Es scheinen also wenigstens
.die heute lebenden afrikanischen Wildhunde von der Stammvaterschaft dieser Rasse ausgeschlossen
zu sein. Wahrscheinlich dagegen scheint es mir, daß sie an den flachstirnigen, südasiatischen
C. pallipes anzuknüpfen ist, doch sind noch weitere Untersuchungen mit Vergleichsmaterial, das
mir hier völlig fehlt, nötig, um diese Fragen zu entscheiden. Ist so auch die Vergangenheit dieser
Hunde nicht sicher festzustellen, so können wir doch mit Bestimmtheit behaupten, daß ihre wenig
veränderten Nachkommen noch im heutigen Ägypten leben. Die Straßburger zoologische Sammlung
besitzt den Schädel eines Straßenhundes aus Kairo (von mir (16) wegen interessanter Zahnanomalien
in meiner diesbezüglichen Arbeit schon besprochen und abgebildet). Er ist kleiner und zierlicher
als jene beiden eben besprochenen; auch das Gebiß (vgl. Tab. IV) ist nicht nur absolut, sondern auch
relativ kleiner und feiner geworden. Davon aber abgesehen, ist besonders die Form des Hirnschädels
des breiten, kräftigen Stirnfeldes und der Profillinie dieselbe geblieben. Vielleicht ist das Stirnfeld
median etwas stärker eingesenkt. Der Gesichtsteil erscheint ein klein wenig schmäler; vor den
F. infr. ist die Schnauze etwas stärker abgesetzt und der Teil davor auch relativ länger. Die Bullae
schließlich sind noch kleiner, und stärker rudimentär. Das sind die einzigen Unterschiede, die die
moderne Rasse gegenüber der alten aufzuweisen hat.
Ein viel stärker modifizierter Nachkomme dieser Rasse scheint mir dagegen der folgende
Schädel No. 4731 der kgl. Ldw. Hochsch. zu sein. Er ist bezeichnet als q* „Beduinenspitz“ . So
bedeutend die Veränderungen dem Auge erscheinen, so gering sind sie tatsächlich, wenn wir die
Knochenmaße vergleichen. Die absoluten Zahlen (Tab. IV) sind fast dieselben. Nur das Gebiß ist
Meiner geworden, und dies in noch größerem Maße, als dies die Zahlen angeben, da wir die Höhe der
Zähne nur sehr unsicher, ihren Inhalt aber garnicht feststellen können. Zugenommen hat der Hirnschädel.
Zwar ist er an der Basis gleich breit geblieben, aber die starke Auftreibung der Parietalia
läßt die Zunahme dem Auge sehr bedeutend erscheinen. Die Vergrößerung der Stirnhöhlen läßt
unsere Tabelle IV an den größeren Zahlen für die Schläfenenge und die Breite über den Postorbitalfortsätzen
erkennen. Außerdem wird sie durch eine stärkere mediane Einsenkung des Stirnfeldes
kenntlich. Im übrigen ist aber die Form entsprechend dem Verlauf der oberen Schläfenbögen
genau die nämliche geblieben. Der Stirnabsatz ist viel stärker geworden, ebenso die quere Naseneinsattelung,
so daß der vordere Teil des Nasenrückens fast horizontal verläuft, d. h. infolge weiter
gehender Domestikation ist die Profillinie stärker geknickt.
No. 2716 2714 4731
Höhe von der Mitte zwischen dem Hinterrand der vorderen Gaumenlöcher
bis zur Mitte des vorderen Randes eines Nasenbeines 26 28 25
Höhe vom Vorderrand des Palatinum bis zur queren Naseneinsattlung 36 36 32
Höhe vom Hinterrand des harten Gaumens bis zur Mitte zwischen
den Postorbitalfortsätzen 52 56 58