Extrem entwickelte Organe, d. h. solche, die sich in einer bestimmten Richtung weit
von dem Typus entfernt haben, der ihrem Bau zu Grunde liegt, und in Folge davon eine
aberrante Gestalt angenommen haben, besitzen einen besonderen Reiz zur Untersuchung.
Wenn dieser vielleicht auch ursprünglich nur im Ungewohnten der Erscheinung besteht,
so sind es doch zwei tiefer liegende Umstände, welche das Studium solcher Organe wissenschaftlich
wertvoll machen. Denn gerade diese extremen Bildungen lassen erstens die engen
Beziehungen zwischen Organismus und Umgebung deutlich erkennen, indem sie uns bis ins
einzelne den notwendigen Zusammenhang zwischen dem von außen bedingten Bedürfnis
und dem Bau des Organs zeigen, und zweitens geben sie durch die Möglichkeit ihrer Entstehung
einen Einblick in Quantität und Grenzen des Vermögens des Organismus, sich
äußeren Bedingungen entsprechend zu. gestalten. Beides bringt uns der Erkenntnis des
Organischen näher.
Die Klasse der Vögel besitzt bekanntlich neben einer großen Einförmigkeit im allgemeinen
Bau, die wohl aus den überall gleichartigen Bedingungen des Luftlebens entspringt,
einen überaus großen Reichtum an einseitig angepaßten Organen, die sich oft in
der extremsten und sonderbarsten Weise ausgebildet haben.
Auch die Zunge gehört dazu, die zwar bei den Vögeln meist ein Organ von untergeordneter
Wichtigkeit ist, aber bei manchen dadurch, daß sie nicht nur bei der Verarbeitung,
sondern auch beim Erwerb der Nahrung in Anspruch genommen wird, eine besondere
Bedeutung gewinnt und eine .abweichende Ausbildung erfährt. Es sei nur an die Pinselzunge
der Kolibris erinnert oder an die Zunge mancher Tenuirostres (G adow 13), die weit
vorstreckbar und zu einem wirklichen Säugrüssel geworden ist, den wir seiner Funktion
nach mit dem der Schmetterlinge vergleichen können, und auch die Zunge der Spechte ist,
bekanntlich in ganz anderer Weise, zu einem Organ geworden, das in erster Linie dem E r w
e rb der Nahrung dient.
Ein Vergleich dieser unter physiologisch ähnlichen Bedingungen extrem entwickelten
Zungenformen böte viel' Interessantes; wir träfen bei ähnlicher Gestalt und ähnlicher
Funktion einen recht verschiedenen anatomischen Bau an, könnten dabei aber doch oft
eine Gleichartigkeit der technischen Mittel feststellen.
Im folgenden wollen wir uns auf die Untersuchung der Spechtzunge beschränken,
und an ihr studieren, in welcher Weise dieses Organ sich den durch die Lebensweise gegebenen
Bedingungen gemäß ausgebildet hat. Wir werden uns aber nicht damit begnügen,
den typischen Bau dieses Organs kennen gelernt zu haben/, sondern wir wollen die Untersuchung
auf alle uns zugänglichen Arten ausdehnen; nicht nur um dadurch die Morpho