
und relativ länger geworden, wobei einzelne Zahnbestandteile rückgebildet oder verschwunden
sind.1 Wenn wir uns diesen Entwicklungsgang der Backenzähne, welcher innerhalb dieser
Gattung bei H. semispinosus sein Culmen erreicht, in derselben Richtung fortgesetzt
denken, so würde schließlich eine Zahnform entstehen, welche wohl am nächsten mit derjenigen
bei manchen Phocidae obgleich die Zähne mehr reduziert und deshalb weniger
brauchbar sein würden — übereinstimmen würde. Jedenfalls ist H. semispinosus ein Abkömmling
des H. nigriceps-Typus.2
Wir haben also in der Familie Centetidae eine genetisch zusammengehörige Tiergesellschaft
kennen gelernt, deren alle Mitglieder — mit einer Ausnahme — Madagaskar
bewohnen und sich dort verschiedenen Lebensweisen angepaßt haben. Aus den ursprünglicheren
Formen (wie die kleineren Microgale-Arten) sind teils Gräber (Oryzorictes),; v teils
Wassertiere (Limnogale), teils Soriciden-artige Tiere (Geogale) hervorgegangen, während die
höchsten Formen (Centetinae) teils Igel-artige Tiere (Ericulus), teils Gräber mit rückgebildetem
Gebiß (Hemicentetes) geworden sind, und schließlich Centetes als Omnivore die
bedeutendste Größe und eine eigenartige Ausbildung erlangt hat. Diese verschiedenartige
Differenzierung, welche die Centetiden auf ihrer Heimatinsel entfaltet haben, ist eine Parallelerscheinung
mit Australiens Beuteltieren, welche, ohne Konkurrenz mit Säugern von höherem
Typus, bekanntlich durch Differenzierung befähigt worden sind, fast alle Existenzmöglichkeiten
der australischen Region auszunützen. Allerdings besteht ein gewaltiger Unterschied zwischen
Centetidae und Marsupialia: die ersteren zeigen durchaus nicht denselben Formenreichtum und
somit auch nicht dieselbe Mannigfaltigkeit in der Lebensweise wie die letzteren; die Centetidae
sind somit nur im verkleinerten Maßstabe für Madagaskar, was die Marsupialia für ihr
Wohngebiet sind. Aber auch dieser Unterschied dürfte nicht schwer zu verstehen sein. Zunächst
müssen wir uns erinnern, daß die Centetidae nicht wie die Marsupialia die alleinigen
Inhaber ihrer Heimatinsel aus der Säugetierklasse sind oder waren. So ist wohl anzunehmen,
daß das Vorhandensein der vielleicht gleichaltrigen Halbaffen das Aufkommen von Baumtieren
unter den Centetidae entgegengewirkt hat. Ebenso ist es wahrscheinlich, daß die
Centetidae ihr isoliertes Wohngebiet kürzere Zeit innegehabt haben als die Marsupialia das
ihrige. Auch die viel bedeutendere Größe des Ausbreitungsgebietes der Marsupialia hat
jedenfalls zur Hervorbringung des besagten Unterschiedes beigetragen. Schließlich darf
man vielleicht annehmen, daß die Stammformen der Centetidae weniger plastisch waren als
diejenigen der Marsupialia.
Wir wissen also, daß die Centetidae eine für Madagaskar eigentümliche Säugetierfamilie
sind — nur e in e Gattung lebt anderwärts — , über deren Herkunft aber bisher
nichts festgestellt ist, da auch, wie wir gesehen, keine ausgestorbenen Centetidae uns hier1
Vergleiche oben die Beschreibung der einzelnen Zähne sowie pag. 34.
* Dobson (82) gibt an, daß H. nigriceps größer als semispinosus ist, ab er auch, daß e r keine erwachsenen E x emplare
vom ersteren gemessen hat. Nach mir vorliegenden, völlig erwachsenen Schädeln zu urteilen, ist das Umgekehrte
d er F a ll:
Größte Länge des Schädels von H. semispinosus 44,5 mm
' . 11- ». 1. • • -rM), ' ' ■„ H. nigriceps 43 mm
über aufklären. Unter solchen Umständen dürfte es angezeigt sein, zu prüfen, ob nicht die
Geschichte der übrigen madagassischen Landsäugetiere uns einen Fingerzeig betreffs der
Herkunft der Centetidae geben könnte. Die hier in Betracht kommenden Säuger sind vorzüglich
die Halbaffen, die Raubtiere und die Nager.
Mit Recht hat man von jeher das Auftreten der zahlreichen H alb a ffen fo rm en als P r
ein Charakteristikum der Fauna Madagaskars angesehen. Die Bedeutung dieser Tatsache
für das Verständnis jener Fauna erweist sich aber noch größer, wenn wir die Beziehungen
berücksichtigen, welche zwischen den madagassischen und den nicht-madagassischen Halbaffen
bestehen, wenn wir erwägen, weshalb gerade diese und keine anderen Halbaffen auf
Madagaskar leben oder gelebt haben.
Betrachten wir T a r s iu s (zusammen mit einigen ausgestorbenen Formen) als den
Vertreter einer mit Prosimiae uiid Anthropoidea gleichwertigen Gruppe . ^ • er weicht
bekanntlich in höchst wesentlichen Punkten von den ersteren ab und nähert sich
in eben denselben den letzteren — y so gliedert sich die heute lebende Halbaffenwelt
in zwei durchaus natürliche Familien, die wir mit Weber als N y c t i c e b id a e
und L em u r id a e bezeichnen können. Von diesen gehören die Nycticebidae der orientalischen
und äthiopischen (Afrikas Festland), die Lemuriden ausschließlich der madagassischen
Region an. Die letzteren unterscheiden sich nicht nur von den Nycticebiden,
sondern von allen Primaten überhaupt durch den wichtigen Umstand, daß das Tympani-
cum nicht an der Bildung der Bulla teilnimmt, sondern in Gestalt eines schmalen freien
Ringes innerhalb derselben liegt, während bei den Nycticebidae wie bei den übrigen Primaten
das Tympanicum mit der Bulla verwächst, den äußeren Gehörgang bildend.1 Ebenso
wie die lebenden Lemuridae verhalten sich in diesem Punkte nach Major auch Madagaskars
fossile Halbaffen. Wie die gesamte Morphologie der Tympanalregion lehrt, sind die
Madagaskar - Halbaffen in dieser Hinsicht unbedingt als die auf dem ursprünglicheren
Stadium stehengebliebenen anzusehen.2 Dies wird außerdem noch durch die wichtige Entdeckung
Majors bestätigt, daß auch einer der ältesten und ursprünglichsten der bisher bekannten
Halbaffen, der eocäne A d a p is , in Bezug auf das Verhalten sowohl des Tympanicum
als auch auf die Basis cranii völlig mit den Lemuridae, nicht mit den übrigen Halbaffen
übereinstimmt.
In Übereinstimmung hiermit steht der von Tandler nachgewiesene Umstand, daß die
Lemuridae sich bezüglich der Schädelgefäße niederen Formen (Nagern) anschließen, während
die Nycticebidae (Stenops und Otolicnus sind untersucht) sich wie die Affen und der Mensch
verhalten.
Trotz ihrer Vielgestaltigkeit bilden die Lemuridae, welche bekanntlich die überwiegende
Anzahl der Halbaffen ausmachen, eine durchaus natürliche Gruppe, deren verschiedene
Glieder genetisch miteinander Zusammenhängen. Weder der eigenartig differenzierte
C h i r om y s 3 noch die teilweise durch ihre gewaltige Größe imponierenden fossilen
Halbaffen Madagaskars machen hiervon eine Ausnahme.
1 Siehe Winge 95, Major 99, v. Kämpen.
* In Übereinstimmung mit Major’s und v. Kampen’s und entgegen Winge’s Auffassung.
* Wortman (03) hat neuerdings die Ansicht verfo chten, daß Chiromys zusammen mit den eocänen Microdectes,
Cynodontomys u. a ., welche sich alle durch die an Nagetiere erinnernde Ausbildung der mittleren Schneidezähne aus